Hilfe, mein Sohn hascht!

Jörg Hirsch, lic. phil.

eidg. anerkannter Psychotherapeut

joerg.hirsch@bluewin.ch

Wir sind eine zufriedene Familie und haben zwei Kinder. Die Tochter ist 14, der Sohn 17. Beide besuchen problemlos das Gymnasium. Vor ein paar Wochen war unser Sohn auf einem Rock-Festival und kam ziemlich derangiert wieder heim. Die nächsten Tage war er ungewohnt distanziert, und sein normaler Ordnungssinn liess zu wünschen übrig. Als ich das Gespräch mit ihm suchte, gestand er, Cannabis konsumiert und einerseits sehr schöne, anderseits auch sehr verwirrende und beängstigende Momente erlebt zu haben; nun sei es für ihn mühsam, wieder in den Alltag zurückzufinden. Mein Mann und ich sind sehr beunruhigt.

 

Ihre Beunruhigung ist für mich gut nachvollziehbar: Alles läuft rund, und dann kommt plötzlich eine Störung von aussen, die Abgründe befürchten lässt: Rauschgift! Cannabis ist die unter Jugendlichen am meisten konsumierte Droge, ein ganz grosser Teil der jungen Leute hat irgendwann Kontakt mit ihr. Für die wenigsten von ihnen wird daraus später ein ernsthaftes Problem, und wenn, dann zeigen sich fast immer noch andere Faktoren, meist familiärer Art, die eine psychische Abhängigkeit begünstigen.

Doch gerade bezüglich THC gibt es viele Horror-Zuschreibungen, die eher der Angst der Gesellschaft vor einem kulturell fremden Rauschmittel zuzuschreiben sind als den Tatsachen. Die Wissenschaft ist sich mittlerweile einig, dass das Gefahrenpotential von Alkohol grösser ist als das von Cannabis. Dennoch, in dieser scheinbaren Harmlosigkeit liegt auch eine Tücke: Gerade Jugendliche, die ja dabei sind, ihren Weg ins Leben zu finden, können nicht nur Erfahrungen mit neuen Bewusstseinszuständen machen, sondern die Grenzen-auflösende Qualität der Droge kann auch Auslöser psychotischer Prozesse sein. Bei täglichem Konsum wird mit Sicherheit die kognitive Leistungsfähigkeit gemindert, was sich dann in schlechteren schulischen Leistungen niederschlagen dürfte. Bei jugendlichen Gewohnheitsrauchern werden häufig auch Wesensveränderungen wahrgenommen, die den weiteren Lebensweg negativ beeinflussen, und sie sind in Gefahr, viele Bewältigungs-Erfahrungen zu verpassen, weil sie gewohnt sind, Problemen auszuweichen.

Doch das sind schwarze Bilder. Ihr Sohn hatte erstmals Kontakt mit THC, mit für ihn gemischten Eindrücken. Wie Sie ihn beschreiben, ist er grundsätzlich geordnet, und soweit Sie es ausgedrückt haben, ist Ihr Familienleben wenig belastet. Von daher sehe ich kaum die Gefahr einer Entgleisung. Ich empfehle Ihnen, eine entspannte Haltung einzunehmen und immer wieder das Gespräch mit ihm zu suchen. Doch achten Sie darauf, dass nicht die Besorgnis oder die Moral Ihre Worte leiten, denn damit würden Sie wohl eher seine Widerstände mobilisieren, sondern reden Sie mit ihm, hören Sie ihm gut zu, geben Sie ihm Raum, Ihnen seine Welt zu zeigen und begreiflich zu machen. Je besser dies gelingt, desto mehr kann sich Ihr Sohn wirklich wahrgenommen fühlen – erst recht, wenn Sie sich eigener Bewertungen möglichst enthalten. 

Letzteres ist vertrackt: Wir sind uns nicht bewusst, wie oft und wie stark wir bewerten. Auch logisch erscheinende Gedanken sind sehr häufig von unbewussten Bewertungen unterlegt, die dann den Gesprächsverlauf und das Ergebnis trüben. Versuchen Sie, in Ich-Botschaften zu sprechen, drücken Sie Ihre Gefühle und Ängste aus, nicht als Vorwurf, ohne Moralin, sondern beschreibend.

Ich vermute, dass Sie so Ihren Sohn nicht nur erreichen werden, sondern dass er Ihnen dankbar sein wird, sich erklären zu können.

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