Selbstbewusstsein

Peter Schwob, lic. phil.

eidg. anerkannter Psychotherapeut

schwob@psychotherapie-bsbl.ch

Unser Sohn Max ist 13 und muss in der Schule einen Vortrag halten. Es stinkt ihm, und so greife ich ihm unter die Arme. Mein Mann sagt nun, ich solle mich da raushalten, es sei Max‘ Vortrag. Aber es ist doch meine Verantwortung, dass er seine Arbeit gut macht, oder? Ausserdem habe ich Zeit, im Gegensatz zu meinem Mann.

 

Nein, das sehe ich nicht so: Der Vortrag liegt nicht in Ihrer Verantwortung, sondern in der von Max. Er muss sich dabei mit Verschiedenem auseinandersetzen: Thema, Fakten-Beschaffung, ZuhörerInnen, Anforderungen des Lehrers, Sprache – und vielleicht am meisten mit dem, was Sie „stinken“ nennen (ist es eher Widerstand, eher Angst, nicht zu genügen, oder was sonst?). An allem lernt er etwas – wenn Sie zu viel für ihn tun, lernt er nichts (wie ich keine Muskeln aufbaue, wenn mein Trainer mir die Hanteln lüpft). Ich denke, Ihre Verantwortung ist nicht, dass Max einen guten Vortrag hält, sondern dass er selber Verantwortung dafür übernimmt. Auch dafür, mit Ihnen und Ihrem Mann im Vorfeld zu besprechen, was genau er wirklich von Ihnen braucht und was er durchaus selber liefern kann.

Was ich gut verstehe, ist, dass Sie Max Frust ersparen wollen. Für den Moment nützen Sie ihm so ja durchaus – auf die Dauer aber schwächen Sie ihn. Zudem kann er dann nicht stolz sein, weil der Vortrag nicht wirklich von ihm ist. Und Stolz auf das, was man selber bewältigt hat, ist der beste, wenn nicht der einzige Dünger fürs Selbstbewusstsein. 

Hinter Ihrer Bemerkung, Sie hätten Zeit, Ihr Mann nicht, höre ich leise noch zwei andere Themen. Es könnte sein, dass Sie, seitdem Max selbständiger ist, vermehrt freie Zeit, aber noch kein neues Ziel dafür gefunden haben. Gibt es Interessen, die Sie die letzten Jahre zugunsten der Familie zurückgestellt haben? Dann gäbe es jetzt Raum, sie wiederzubeleben oder neue zu erproben: Eine Sprache lernen, in einem Verein mitmachen, sich weiterbilden. Und: Vielleicht beschreiben Sie ein Ungleichgewicht im Engagement: Leben Sie in der Familie, Ihr Mann ausserhalb? Dann wäre es gut, ihn darauf anzusprechen, dass Sie etwas vermissen.  Möglich, dass auch er etwas vermisst, sich ausgeschlossen fühlt und sich deshalb umso mehr draussen engagiert. 

Dass Ihr Mann in Ihre Beziehung mit Max eingreift, ist zwar unbequem, aber es gefällt mir.  Mütter haben zu Beginn, wenn’s gut läuft, eine ungeheuer grosse Nähe zu ihren Kindern: Das Baby ist für sein Überleben darauf angewiesen, dass die Mutter es versteht – auch das, was es nicht ausdrücken kann. Später braucht, erträgt und sucht es mehr Abstand, und zu dieser Entwicklung kann der Vater viel beitragen, weil er eine andere Sprache spricht, im Kind jemand anderen sieht. Natürlich fühlt es sich für die Mutter bedrohlich an, wenn der Vater sie infrage stellt. Aber bestenfalls, wenn die beiden Erwachsenen miteinander über ihr Kind sprechen, sehen sie es „stereo“, nehmen mehr Facetten seiner Wirklichkeit wahr. 

Kann gut sein, dass das jetzt gerade schon so geschieht: Dass Sie eher den kleinen Jungen sehen, der Sie braucht, Ihr Mann eher den grossen, der allein mit etwas Schwierigem zurechtkommt. Dann finden Sie vielleicht, wenn Sie zu dritt miteinander reden, eine dritte Lösung, die beides berücksichtigt und Max neue Wege eröffnet – Wege in die Pubertät. Etwa, dass er sich mit einzelnen Fragen zum Vortrag an Sie oder den Vater wendet, dieser aber mit Max ein anderes, gemeinsames Projekt in Angriff nimmt, während Sie sich zeitweise etwas Neuem zuwenden.

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