Angst vor der Psychiatrie

Susann Ziegler, lic. phil.

eidg. anerkannte Psychotherapeutin

susann.ziegler@bluewin.ch

Seit einigen Monaten hat sich unser Sohn (18) total zurückgezogen. Er war noch nie besonders kontaktfreudig, aber jetzt verschliesst er sich auch vor allen Kollegen und uns. Vor 2 Wochen hat er kommentarlos die Lehre abgebrochen und lebt jetzt nur noch in seinem Zimmer. Wir können nicht mehr mit ihm sprechen; er ist misstrauisch, schweigsam, aber auch aufbrausend, wo es niemand versteht. Auf einfache Fragen oder eine Aufforderung hin reagiert er gereizt oder bleibt stumm. Ein Bekannter meint, es handle sich um eine psychische Erkrankung, die dringend eine Abklärung in der psychiatrischen Klinik brauche. Wir haben da gewisse Bedenken: Zu oft ist zu hören, wie man die Menschen dort mit Medikamenten vollstopft. Das wollen wir auf keinen Fall. Aber: wie weiter?

 

Ihre Bedenken sind insofern verständlich, als es über psychiatrische Kliniken die verschiedensten Informationen gibt. Auch in der Literatur, in Filmen und Stammtisch-Witzen kommen sie nicht gut weg. Darin äussert sich vermutlich die Abwehr gegen das Dunkle und Chaotische aus unserem Innern, das uns alle durcheinander bringen kann und das in Kliniken manchmal so unverstellt sichtbar ist. Ihren Zweifeln begegnen Sie am besten, indem Sie sich selbst beraten lassen, um ihr Bild von der Psychiatrie auf einen aktuellen Stand bringen: In den letzten Jahren hat sich sehr viel zum Guten verändert.

Natürlich sind Sie als Eltern verunsichert und haben Angst um ihn, wenn ihr Sohn sich so verändert. Diese Sorge dürfen sie ihm ruhig mitteilen, nicht als Vorwurf, sondern mit der Information, dass Sie sich um Hilfe bemühen werden. Für eine vertiefte Abklärung, wie man ihm helfen könnte, empfehle ich als erstes Gespräche, sei es beim Hausarzt, dem ihr Sohn vielleicht vertraut, oder bei einer Psychiaterin, einem psychologischen Psychotherapeuten oder in einer spezialisierten Institution (psychiatrische Poliklinik). Falls Ihr Sohn zu einem solchen Schritt bereit ist, besteht die Möglichkeit, dass er dort einen Gesprächspartner findet, bei dem er eher bereit ist, sich zu öffnen und auf die Beweggründe seines Handelns und Fühlens einzugehen. So kann man mit ihm zusammen eine Lösung suchen. Wahrscheinlich werden Sie zu einem Gespräch zugezogen. Es ist aber auch möglich, dass dies erst später passiert. Denn es kann sein, dass es für den Aufbau einer Vertrauensbeziehung zwischen Ihrem Sohn und der Fachperson gerade wichtig ist, Sie für den ersten Moment auszuschliessen, auch wenn Sie ihn bis anhin am besten kennen.

Nach dem, wie Sie den Zustand Ihres Sohnes beschreiben, könnte ein stationärer Aufenthalt in einer psychiatrischen Klinik hilfreich sein. Zu ihren Bedenken betreffend Medikation in der Psychiatrie: Ausser in einer akuten Gefährdungssituation werden ihm keine Medikamente ohne seine Zustimmung verabreicht. Er wird über deren Wirkungen und Nebenwirkungen sehr genau aufgeklärt und hat das Recht, die Einnahme zu verweigern. Die Patientenrechte sind gesetzlich genau festgelegt, und niemand ist heute einer Klinik ausgeliefert.

Sie als Eltern sind in dieser schwierigen Situation ebenfalls nicht alleingelassen: Die Kliniken arbeiten eng mit den Angehörigen zusammen, und Sie dürfen und sollen auch von sich aus das Gespräch mit den Fachleuten suchen. Zudem haben Sie die Möglichkeit, Ihre ganz persönlichen Sorgen in einer Selbsthilfegruppe zu besprechen, wo Sie auf Eltern mit ähnlichen Problemen treffen, sodass Sie grosse Unterstützung erleben können.

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