Ich kann nicht schlafen

Susann Ziegler, lic. phil.

eidg. anerkannte Psychotherapeutin

susann.ziegler@bluewin.ch

Seit längerer Zeit kann ich (m, 30) nicht mehr recht schlafen und leide sehr darunter. Während der schlaflosen Nächte wälze ich mich und habe Ängste, ob ich den nächsten Tag durchstehe. Wenn ich aufstehen sollte, bin ich kaum zu wecken und wie gerädert. Bereits bin ich auch tagsüber mit der Idee beschäftigt, ob ich heute wohl schlafen kann oder nicht. Kurzum, der nicht vorhandene Schlaf plagt mich Tag und Nacht.

Bei meinem Arzt war ich schon. Körperlich ist alles in Ordnung. Er hat mir Schlafmittel gegeben, allerdings mit der Warnung, sie könnten mich abhängig machen. Wenn ich sie einnehme, schlafe ich etwas mehr, bin aber am Morgen noch schwerer, wie Blei. Was gibt es da noch für Hilfe?

 

In der Ruhe im Schlaf erholen wir uns, sammeln Kräfte, regenerieren uns und gewinnen Abstand zu belastenden Gefühlen. Wenn diese Funktionen gestört sind, sind die Folgen sowohl objektiv als auch subjektiv verheerend. Gut zu wissen, dass bei Ihnen eine somatische Ursache ausgeschlossen wurde; jetzt gilt es, die psychische Komponente zu untersuchen.

In solchen Fällen bewährt sich ein Schlaf-/Wach-Protokoll, um den Ist-Zustand genau und neutral zu beobachten. Dafür halten Sie Bettgeh- und der Aufstehzeiten fest, auch an arbeitsfreien Tagen; ausserdem, wie viele Stunden Sie dennoch geschlafen haben, wie viele Minuten sie dazwischen wachlagen, welche Nickerchen sie tagsüber einschieben. Zudem sollten Sie festhalten, ob und was Sie geträumt haben, und auch die Gedanken, die Sie in den Wachzeiten hegen. Welche Aufregungen oder Gedanken erleben Sie tagsüber? Gewöhnen Sie sich auch bereits daran, nicht zu früh ins Bett zu gehen, denn das Wachliegen mitten in der stillen Nacht ist besonders quälend.

Mit diesen Notizen lohnt es sich, eine/n PsychotherapeutIn aufzusuchen und im gemeinsamen Gespräch zu ergründen, weshalb Sie nicht zur Ruhe kommen. Sie müssen mit einem längeren Suchprozess rechnen. Schlaflosigkeit ist meist ein Symptom für etwas noch nicht Bekanntes; sie ist nicht einer klaren Ursache zuzuordnen, daher gibt es auch kein Patentrezept dagegen.

Wenn Sie die Ängste betreffend den nächsten Tag erwähnen, so deutet das vielleicht auf eine Über- oder Unterbelastung am Arbeitsplatz hin, sei es qualitativ, quantitativ oder beziehungs-mässig. Vielleicht sind Ihre Gedanken aber auch gefangen von Angelegenheiten, denen Sie tagsüber keine Zeit einräumen, die Sie verdrängen und die Sie nachts verfolgen. Nur – das ist kein bewusster Akt und bleibt Ihnen deshalb verborgen. Dabei spielen unerkannte Beziehungsprobleme, existentielle Fragen, finanzielle Sorgen, Selbstwert- und/oder Schuldproblematiken etc. eine Rolle. 

Wie Sie selbst beschreiben, sind Sie bereits fixiert auf den Schlafgedanken, was einerseits verständlich ist, andererseits darauf hinweist, dass Sie andere Aspekte Ihres Lebens zu vernachlässigen beginnen. Die Schlaflosigkeit nimmt Sie derart gefangen, dass Wünsche, Sehnsüchte oder Auflehnungen in Ihrem Leben an Raum verlieren. Damit schaffen Sie sich Folgeprobleme beziehungsmässiger Art. Entwickeln Sie vielleicht schon Groll oder Neid auf alle ihre Mitmenschen, die (vermeintlich) schlafen können? Oder ein Opfergefühl, indem Sie je länger je mehr besonderes Verständnis und Rücksichtnahme Ihrer Mitmenschen erwarten, in der inneren Überzeugung, Ihr Leiden müsse für alle nachvollziehbar sein, denen Sie es schildern? Solche Negativ-Spiralen sollten Sie dringend anhalten, indem Sie das Problem mit einer Fachperson ergründen.

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