Zu dick

Peter Schwob, lic. phil.

eidg. anerkannter Psychotherapeut

schwob@psychotherapie-bsbl.ch

Ich bin zu dick. Das klingt schrecklich, wenn ich’s so schreibe, normalerweise sagt man ja: Ich möchte abnehmen. Aber ich glaube, genau so denken die Leute über mich: Die ist zu dick. Und ich hab’s satt, drum herumzureden. Mein Problem ist: Ich habe mindestens 30 kg zu viel, aber wenn ich hässig oder unzufrieden bin, muss ich etwas essen.  Und weil ich das oft bin, wird das nichts mit dem Abnehmen. Was tun?

 

Auf die Gefahr hin, dass Ihnen das zu nett vorkommt: Sie haben den Schlüssel in der Hand. Sie beschreiben sehr präzise, wie Sie zu den überzähligen Kalorien kommen, und ich höre aus Ihren Zeilen auch, wie wütend Sie die ganze Geschichte macht. Gut möglich, dass noch anderes mitspielt, aber ein paar Elemente sind schon klar: Sie leiden unter Ihrem Gewicht, und Sie wissen, dass Sie es selber verursachen. Sie können aber damit nicht aufhören, weil Sie keinen anderen Ausweg aus der Unzufriedenheit sehen als den, etwas zu essen. Etwas Gutes hat das Essen ja: Sie bestimmen selber darüber, Sie sind auf niemand anderen angewiesen, um Ihre Stimmung wenigstens für den Moment zu verbessern. Ein ungedachter Gedanke dahinter könnte etwa so  lauten: „Die anderen sind nicht so zu mir, wie ich es bräuchte, und ich bin wütend auf sie, aber ich kann sie nicht ändern; also tue ich mir selber etwas Gutes, dann brauche ich sie gar nicht. Und nebenbei kann ich etwas mehr Raum einnehmen, Gewicht haben und ihnen eins auswischen“.  Das gäbe Ihnen eine Zeitlang ein tröstliches Gefühl der Sattheit und Unabhängigkeit, auch des phantasierten Triumphes; erst später würden Sie sich unwohl fühlen in Ihrer Haut, aber dann wäre es schon zu spät, und Sie wären erst recht wütend auf die anderen und auf sich. Und wenn dann noch etwas Neues dazukäme, was schiefläuft, läge der Griff zum Essen erneut nahe.

30 kg Übergewicht entstehen nicht in ein paar Wochen. Ich vermute, Sie sind schon lange in so einem Teufelskreis gefangen. Von daher dünkt es mich fraglich, ob Sie ihn allein durchbrechen können – wahrscheinlich brauchen Sie Hilfe von aussen, und zwar nicht Diätberatung, sondern jemanden, der Sie darin begleitet, Ihre Stimmungen und Reaktionen wahrzunehmen. Womit Sie aber auf jeden Fall schon selber beginnen können, ist, jeden Tag genau zu beobachten und für sich aufzuschreiben, was passiert: Wer enttäuscht oder ärgert Sie? Was hätten Sie gebraucht? Können Sie es dem Betreffenden sagen? Wie trösten Sie sich? Wie geht es in Ihnen dann weiter? 

Essen und Trinken sind für Säuglinge und kleine Kinder viel mehr als nur Nahrungsaufnahme: Sie schaffen Kontakt, Verbindung, ein Gefühl der Sicherheit, des Lebendig- und  Zufriedenseins. Man könnte sagen: Kalorien und Vitamine sind nur der Trägerstoff, eigentlich suchen wir im Essen das Leben. Aber manchmal fühlen sich Mütter angesichts von schwer erträglichen, unverständlichen Stimmungen ihres Babys so allein, unsicher und verzweifelt, dass sie sich nicht trauen, verschiedene Reaktionen auszuprobieren, sondern ihm schnell Brust, Flasche oder Gutzi geben, um es im wörtlichen Sinne zu stillen, still zu machen. Ein solches Kind wird lernen, dass Essen und Trinken die besten Mittel gegen Trauer, Wut, Sehnsucht, Langeweile sind.  Diese automatische Verknüpfung später zu lockern und für sich neue Trost- und Befriedigungswege zu entwickeln, braucht ungeheuer viel Geduld und genaues Hinschauen. Wenn das bei Ihnen der Fall ist,  können Ihnen Selbstbeobachtung und eine professionelle Begleitung dabei helfen.

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