Der Weihnachtsbaum stand am falschen Ort

Peter Schwob, lic. phil.

eidg. anerkannter Psychotherapeut

schwob@psychotherapie-bsbl.ch

Leider war unser  Weihnachtsfest nicht schön, obwohl wir uns so darauf gefreut hatten. Mein Mann, meine zwei Kinder (5, 7) und ich besuchten meine Eltern, meine beiden allein lebenden Geschwister auch; ich half meiner Mutter, wo ich konnte, aber sie war unzufrieden und nörgelte an allem herum. Die Kinder waren unruhig, und schliesslich hatten mein Mann und ich auch noch Krach. Was hätten wir anders machen sollen? Aber jetzt ist es eh zu spät.

 

Im Gegenteil: Jetzt ist der beste Moment! Bald ist wieder Weihnachten, und ich vermute, in Ihrer Familie stehen ein paar wichtige Schritte an, die Zeit brauchen. Zudem erinnern sich jetzt alle noch gut an das, was war. Was Sie beschreiben, ist häufig: Viele Familien führen das weiter, was einmal gut war (oder möchten endlich das verbessern, was nicht gut war), und vergessen dabei, was sich alles geändert hat. Bei Ihnen sind offenbar alle Geschwister erwachsen und ausgezogen; Sie selbst haben sogar eigene Kinder. Trotzdem empfinden sich die Grosseltern noch immer als Zentrum der Familie, und die mittlere Generation akzeptiert das oder möchte es jedenfalls nicht ändern – sei es, um den Grosseltern nicht das Gefühl zu geben, sie seien nicht mehr wichtig, sei es aus dem Wunsch, etwas Unfertiges zu vollenden, oder aus der Scheu, die Last selber zu schultern. Trotzdem spüren mehrere Familienmitglieder, dass etwas nicht stimmt, und sind unzufrieden. Und am Schluss hängt alles an Ihnen, auch wenn Sie scheinbar nur ein Gast unter vielen sind. 

Mein Vorschlag: Bringen Sie innere und äussere Realität in Übereinstimmung, suchen Sie mit Ihrer Familie zusammen nach einer neuen Form zu feiern.  Der Weihnachtsbaum gehört in Ihre Stube, finde ich – erklären Sie sich jetzt zum Zentrum der Familie! Wenn Ihre Geschwister später auch Kinder haben, braucht es eine Abmachung, wer wann dran ist. Dann, wenn Sie und Ihr Mann GastgeberIn sind, können Sie zusammen entscheiden, was wie läuft. Das alles ist leichter gesagt als getan; da passt es ganz gut, dass Sie fast ein Jahr Zeit haben.

Erwachsen zu werden und sich auf die eigenen Füsse zu stellen, ist ein mühsames Geschäft; weder mit einem bestimmten Geburtstag noch mit einer Ausbildung, dem Ausziehen oder Heiraten ist es getan. Und die ältere, zurückbleibende Generation hat es auch nicht leichter: So viel hat sie jahrelang in den Nestbau investiert, und jetzt soll plötzlich alles vorbei sein? Kein Wunder, halten alle Beteiligten lieber am Alten fest. Aber es hilft nichts: Die Verantwortung muss neu verteilt werden. Über manches, was nicht gut gelaufen ist, kann man bloss traurig sein, nicht mehr auf seine Erfüllung warten. Das gibt allen die Chance, sich gegenseitig neu kennenlernen: So, wie sie jetzt sind, nicht so, wie sie vielleicht früher waren. Ich glaube, es sind diese Akte von Abschied und Verzicht, andersherum: das Gefühl, noch etwas zugute zu haben, die das Erwachsenwerden so schwer machen und einen dazu verleiten können, es hinauszuschieben. Das gilt natürlich umso stärker, je mehr Mangel man in der Familie erlebt hat. Oft tritt er leise ein, für Aussenstehende kaum wahrnehmbar: Etwa wenn die Eltern zu sehr von eigenen Sorgen beansprucht sind,  die Kinder zu viel Verantwortung für die Eltern tragen oder alle sich ständig zusammennehmen, weil sie Angst haben vor der Wut der andern.  Trifft etwas davon auf Sie zu? Ich habe aus Ihren Zeilen den Eindruck, Sie sind es sehr gewohnt, Ihre Wünsche zurückzustellen.

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