Bin ich ein Bordi?

Susann Ziegler, lic. phil.

eidg. anerkannte Psychotherapeutin

susann.ziegler@bluewin.ch

In der letzten Zeit geht es mir (w, 16) ziemlich beschissen: Ich finde mich nirgends mehr zurecht, auch mit mir selbst habe ich Mühe. Ich mag mich und mag mich nicht, meistens das Zweite. Irgendwie ist alles gespannt in mir, es zerreisst mich manchmal fast. Meine Mutter (sie ist geschieden) versteht gar nichts, macht nur Mega-Stress mit allem. Sie flippt aus, droht mit Arzt und Psychi, wenn sie einmal meine Brandwunden und Schnitte sieht, die ich aber meist gut mit den Kleidern verdecke. Zudem nörgelt sie dauernd beim Essen und Trinken. Mit meinem Vater habe ich kaum Kontakt, er interessiert sich nicht für mich. Am liebsten würde ich einfach sterben, aber dann habe ich wieder Angst davor – nicht einmal das bringe ich zustande. Meine Freundschaften in der Schule sind intensiv, und bald danach könnte ich alle auf den Mond schiessen. Viele sind ebenso schlecht dran wie ich, aber das hilft mir nicht weiter.

 

Sie haben offenbar schon einiges gehört und diskutiert über die Diagnose «Borderline-Persönlichkeit». Sie zeichnen ein elendes Bild von sich und sind eindeutig sehr verzweifelt. Da ist es zu begrüssen, wenn Sie sich an jemanden von aussen wenden und über sich und Ihre Gefühle reden können. Ihre innere Spannung bauen Sie offenbar durch Ritzen und Brennen an ihrem Körper ab, aber Sie merken ja selbst, dass dies nur kurzfristig entlastet und dann alles weitergeht wie bis anhin. Abgesehen davon, verunstalten Sie damit Ihren Körper nachhaltig. Und irgendwie spüren Sie auch, dass das Leben deswegen nicht beendet werden muss, auch wenn es Sie manchmal reizt, alles hinter sich zu lassen. Für Notfälle ist es wichtig zu wissen, dass Sie 24 Stunden am Tag die Gratis-Telefonnummern 143 oder 147 wählen können, wo Sie anonym und sofort Hilfe im Gespräch erhalten.

Längerfristig ist es aber förderlicher, wenn Sie mit der immer gleichen Fachperson über Ihren Zustand reden und mit ihr nach den dahinter liegenden Ursachen suchen und nach Möglichkeiten, die Spannung zu reduzieren. Sie sollen ein Gespür dafür bekommen, wie und wodurch sich eine Krise anbahnt und wie man sich eben nicht hineinsteigert, sondern lernt, entsprechende Situationen zu erkennen und zu meiden – kurz: welches Muster sich abspielt. Rechnen Sie mit einer längerdauernden Psychotherapie, damit Sie die kommende Zeit sinnvoll nutzen können für Ihre persönliche Entwicklung, die infolge Schule, Lehre und Liebesbeziehungen hoch anspruchsvoll ist.

Sollte es sich bei Ihrem Leiden tatsächlich um eine Borderline-Persönlichkeitsstörung handeln, ist eine Psychotherapie das Mittel der Wahl. Mit psychotherapeutischer Hilfe, das heisst zusammen mit jemandem, der stimmungsmässig ausgeglichen ist  und sich mit dem Thema auskennt, können Sie sich besser auffangen und über ihr Hin- und Hergerissen-Sein nachdenken. Dazu braucht es klare Abmachungen, in denen geregelt wird, wer wofür verantwortlich ist und was Sie zusammen bearbeiten. Zuerst wird es darum gehen, krisenerzeugendes Verhalten abzubauen. Neue Fertigkeiten werden ihnen helfen, diesen ständigen Stimmungsschwankungen nicht mehr so ausgeliefert zu sein. Mit der Zeit werden Sie gemeinsam die Ursachen von traumatisierenden Erfahrungen und auch Ihre riesigen Ängste verstehen lernen und Verhaltensweisen üben, die Sie entlasten. Damit entlasten sie auch die Beziehungen zu anderen. Dies erfordert zwar eine hohe Motivation zur Mitarbeit, aber es ermöglicht Persönlichkeitsentwicklung und erhöht Ihre Lebensqualität enorm.

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