Im Winter gehe ich ein

Sabine Brunner, lic. phil.

eidg. anerkannte Psychotherapeutin

brunner@mmi.ch

Jeden Winter gehe ich (w, 35) regelrecht ein. Am Anfang des Winters denke ich noch, dass ich das dieses Jahr schaffe, und nehme mir viele gute Vorsätze für den Winter. Aber je länger er dauert, desto schwieriger finde ich es, mit der Kälte und der Dunkelheit umzugehen. Alles stinkt mir, und ich möchte nur noch zuhause sitzen. Gut, dass es irgendwann wieder Frühling wird!

 

Gut, dass Sie sich im Frühling wieder erholen, das ist schon mal etwas! Dass Sie den Winter als schwierig empfinden und dabei regelrecht eingehen, teilen Sie mit vielen anderen Menschen, da erzähle ich Ihnen sicher nichts Neues. Dabei handelt es sich um ein ganz grundlegendes und auch natürliches Erleben. Unser Körper benötigt Helligkeit und Wärme. Die fehlen uns im Winter, und das lässt uns auch krankheitsanfällig werden. 

Unsere Psyche ist eng verbunden mit dem Körper. Jedes körperliche Erleben löst Gefühle und Stimmungen aus. Umgekehrt bewirken auch Gefühle und psychische Zustände körperliche Veränderungen. Und alles dirigiert gemeinsam unser Verhalten. Wir sind also „Körper-Psyche-Einheiten“ und verändern uns in „Körper-Psyche-Kreisläufen“, die leider bisweilen zu Teufelskreisen werden. Um zu Ihrem Thema zurückzukehren: Es ist dunkel, wir haben kalt, der Körper zieht sich zusammen, wir fühlen uns draussen unwohl, ziehen uns zuhause zurück, bekommen zu wenig frische Luft und Bewegung, sind vielleicht auch erkältet, werden lustlos und träge – und ziehen uns noch mehr zurück. Es wird immer schwieriger.

Wie kann man nun einen solchen Teufelskreis durchbrechen? Nicht ganz einfach, denn gewisse Dinge sind ja gegeben. So ist es zur Winterszeit tatsächlich kalt und lange dunkel. Diese Tatsache zu akzeptieren, ist ein erster Schritt, denke ich. Es gibt diese Jahreszeiten, in denen das Leben etwas schwieriger wird – wenn auch für uns, die wir in komfortablen, trockenen und warmen Häusern mit elektrischem Licht leben, nicht wirklich bedrohlich. 

Es erscheint mir deshalb sinnvoll, sich im Winter nicht zu forcieren, sondern den durch die Jahreszeit erzwungenen Rückzug zu bejahen. Lange Winternächte und düstere Tage lassen zu, dass wir uns gründlich ausruhen. Der Rückzug bietet zudem die Möglichkeit, sich selbst wieder einmal richtig zu erleben, sich mit den eigenen Vorlieben und vielleicht auch mit negativeren Seiten der Persönlichkeit zu befassen. Wir können Interessen pflegen, die zu Innenräumen passen, beispielsweise Musik, Kunst und Literatur. Oder wir können der eigenen Fantasie nachgehen und selbst kreativ werden. Ist es nicht spannend, dass in Schweden, wo viel Dunkelheit und Kälte herrscht, eine besonders lebendige Literatur-, Design- und Filmszene besteht?

Um dem Bedürfnis des Körpers nach Luft und Licht dennoch auch im Winter Raum zu geben, ist es notwendig, dass wir uns auch draussen bewegen. Man kann sich warm einpacken,  das Gesicht bewusst in den Wind richten und sich für danach eine Einheit Wärme versprechen, etwa in Form einer heissen Dusche oder eines Dampfbad-Besuchs. Oder man macht draussen in der Kälte ein Feuer und kann so gleichzeitig Hitze und Kälte geniessen. Viele überlieferte Winterrituale haben mit dieser Verbindung von Feuer und Kälte, Licht und Dunkelheit zu tun. Einige davon haben wir in unserer Region noch vor uns, etwa den “Chienbäse“ oder das „Redli-Schigge“.

Und dann kommen ja eben irgendwann Wärme und Helligkeit wieder. Wie sagt man? Eigentlich ist im Februar der Sommer am schönsten! 

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