Mein tiefempfundenes Beileid!

Peter Schwob, lic. phil.

eidg. anerkannter Psychotherapeut

schwob@psychotherapie-bsbl.ch

Meine Mutter ist kürzlich mit 97 gestorben; meine Frau und ich (beide um die 65) haben sie mithilfe einer privaten Spitex bis zum Schluss zuhause gepflegt. Die letzte Zeit war sehr, sehr belastend mit Demenz und körperlichem Verfall, und wir waren froh, als es überstanden war. So viel Erleichterung und Befreiung, unglaublich! Und dann drücken uns zwei Räumungsfirmen, ein Steinbildhauer und jede Menge Amtsstellen und Versicherungen ihr tiefempfundenes Beileid aus, und auch Verwandte und KollegInnen, die es besser wissen könnten, reden von Anteilnahme und Mitgefühl. Das ist doch einfach verlogen.  Ich fühlte mich völlig in eine Ecke gedrängt, konnte ja nicht gut sagen, ich sei froh um den Tod. Auf kommerzielle Ansagen konnte ich wenigstens wütend sein – jene vonseiten lieber Bekannter machten mich einfach nur sprachlos. Bin ich überempfindlich?

 

Ja, ich denke schon, und das ist kein Wunder. Sie haben etwas ungeheuer Belastendes auf sich genommen und durchgestanden, was nicht viele sich zutrauen; haben vermutlich viele Momente des Überdrusses und der Angst ausgehalten, immer wieder mit sich gerungen, ob Sie Ihre Mutter wirklich weiter zuhause pflegen oder sie doch besser (für sie und sich) in ein Hospiz bringen sollten. Und jetzt sind Sie müde. Dass Ihnen dabei die Trauer abhandengekommen ist oder jedenfalls nicht im Vordergrund steht, leuchtet mir ein. Erst recht in Anbetracht der Demenz: Ihretwegen haben Sie über Jahre hinweg schrittchenweise von ihrer Mutter Abschied nehmen müssen und konnten sie wohl schon lange nicht mehr als die Person sehen, der Sie vertraut haben, weil sie Sie grossgezogen und begleitet hat.

Ich kann jedenfalls gut nachvollziehen, wie befreit und erleichtert Sie sich fühlen, vielleicht sogar ein wenig stolz auf Ihre Fürsorge, und auch: wie beschämt oder wütend, wenn jemand Sie auf eine Trauer festlegt, die Sie so gar nicht empfinden, die „man“ einfach hat. Es kann allerdings gut sein, dass Sie erst mit einigem Abstand merken, dass Sie doch traurig sind oder sich verlassen fühlen. Auch wenn man schon älter ist, kann man seine Eltern noch als Sicherheit und Halt gebend empfinden – und wenn sie sterben, trifft es einen zuinnerst, ungeachtet dessen, dass man real schon lange selbständig lebt. 

Und was ist mit den andern los? Woher kommen die schwülstigen Floskeln von Beileid & Co? Ich vermute: Aus der Hilflosigkeit. Die andern können ja nicht wissen, wie es Ihnen geht, trauen sich oft auch nicht wirklich zu fragen, sind froh, nicht an Ihrer Stelle zu sein. Wahrscheinlich fühlen sie sich unsicher, die richtigen Worte zu finden, wollen nichts falsch machen, Ihnen nicht zu nahe treten, nichts versprechen, und schweigen geht auch nicht. Übrig bleiben dann halt Floskeln: gut erprobte, von andern übernommene, unpersönliche Redewendungen, die aber beide Seiten allein zurücklassen und keine Verbindung schaffen. Wie wohltuend kann dagegen eine Hand auf dem Arm sein oder ein wirklich ernst gemeintes, öffnendes Sich-Erkundigen! 

Eine leise Frage: Könnte es sein, dass sich in Ihrem Ärger über die Floskel-RednerInnen etwas  von Ihrer Überforderung in den vergangenen Monaten zeigt? Und vom Wunsch, endlich genau als der gesehen zu werden, der Sie innerlich sind und den Sie so lange beiseiteschieben mussten, um durchhalten zu können? Ich wünsche Ihnen und Ihrer Frau jedenfalls viel Genuss an Ihrer neuen, alten Freiheit!

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