Ich will mit meinem Vater nichts zu tun haben

Peter Schwob, lic. phil.

eidg. anerkannter Psychotherapeut

schwob@psychotherapie-bsbl.ch

Meine Eltern sind getrennt, seitdem ich (m, 19) auf der Welt bin. Ich lebte immer bei meiner Mutter und war damit zufrieden. An den Vater habe ich nur ganz wenige Erinnerungen aus meiner Kindheit  – ab und zu war ich bei ihm in Frankreich in den Ferien. Von mir aus ist alles in Ordnung, wie es ist. Aber in den letzten Jahren sucht er immer wieder den Kontakt, möchte, dass ich öfter zu ihm komme, schickt mir unpersönliche Geschenke (Geld, wie peinlich!), Postkarten und nichtssagende Grüsse aus den Ferien. Und ist dann beleidigt, wenn ich ihm nicht antworte. Meine Mutter hätte nichts dagegen, wenn ich auch zu ihm ginge. Aber er stört, finde ich, und bringt hier alles durcheinander. Am liebsten würde ich dem Kerl ein für alle Mal die Türe zuschlagen. Aber darf man das? Immerhin ist er mein Vater!

 

Ich sag’s mal etwas patzig: Dass er Ihr Vater ist, verschafft ihm noch kein Recht auf Kontakt mit Ihnen. Lange Zeit hat er Sie ja auch nicht gesucht und ist Ihnen fremd geworden. Sie wissen gar nicht, wer das eigentlich ist, der da sagt, er möchte  eine Beziehung mit Ihnen aufbauen. Sie sind daran, erwachsen zu werden und ihre eigene Welt zu gestalten, und das schaffen Sie offenbar gut ohne ihn. 

So weit, so einfach. Aber dann stolpere ich über Ihre Frage: Darf man das? Ich wüsste nicht, wer es Ihnen verbieten sollte – ausser Ihnen selbst. Doch so einfach scheint es nicht zu sein; Ihr Impuls, die Beziehung abzubrechen, so heftig er auch ist, kommt Ihnen seltsam und anfechtbar vor, und Sie zögern, ihn in die Tat umzusetzen. Dieses Zögern ist etwas Kostbares, finde ich: Es ermöglicht Ihnen, hin und her zu überlegen, immer wieder ein Aber zu denken, immer wieder eine andere Seite der Geschichte und Ihrer Gefühle anzuschauen. „Ambivalenz“ ist in der Umgangssprache fast ein Schimpfwort: So, jetzt entschliess‘ dich mal, du Wackelkandidat! Mindestens so wahr ist aber, dass  es kaum ein Gefühl oder eine Entscheidung gibt, die nicht zwiespältig wären – wo das Gegenteil dessen, was man in einem Moment sagen kann, auch ein wenig wahr ist. Das auszuhalten, mit beiden Wahrheiten einen Weg zu suchen und handlungsfähig zu werden, ist eine hohe Kunst. 

Was ich höre, ist, dass Sie auf Ihren Vater eine doppelte Wut haben: Zum einen, weil er Sie jetzt stört und bedrängt, zum andern, weil er Sie so lange alleingelassen, sich nicht für Sie interessiert hat. Auch jetzt fragt er nicht wirklich danach, wie Sie leben und welches Geschenk  zu Ihrem Leben passen würde, sondern versucht nur, nichts falsch zu machen. Zu diesen beiden gegensätzlichen Enttäuschungen würde es in der Tat passen, ihm die Türe zuzuschlagen – bloss würden Sie damit nicht nur ihn aussperren, sondern auch sich selber etwas abschneiden: die Möglichkeit, etwas nachzuholen, was Ihnen ein Leben lang gefehlt hat. Aber (noch ein Aber!) vielleicht ist es genau diese Vorstellung, die Sie noch wütender macht: Dass Sie innerlich einen Schritt auf Ihren Vater hin machen und er Sie schnöde abprallen lassen würde, genau in dem Moment, wo Sie all Ihren Mut zusammengenommen haben. 

Man kann halt nicht wissen, was geschieht, wenn Sie ihm sagen, Sie hätten vorerst genug und er solle mit seinen halbherzigen Kontaktversuchen aufhören. Vielleicht tut er’s – dann werden Sie an Ihrer Reaktion merken, ob es das ist, was Sie wirklich wollen. Vielleicht erschrickt er und kommt auf eine neue Art auf Sie zu – dann können Sie neu entscheiden, ob Sie sich willkommen fühlen. 

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