Wir wissen nicht mehr, was wir machen sollen. Unser Sohn (13 J.) nervt uns unvorstellbar. Er ist soweit ganz gut in der Schule und mit den Huusi immer bald fertig. Danach sitzt er in seinem Zimmer und macht eine Weile Computerspiele, aber bald schlurft er muffig durch die Wohnung und mault herum: Mir ist so langweilig! Früher war er beim Quartierzirkus. Wir haben ihm jetzt schon alles Mögliche vorgeschlagen: Dass er in einen Sportverein geht, ein neues Instrument spielen lernt, sich mit Kollegen zum Schutten trifft – immer heisst es, „keine Lust, kein Bock“. Nur in die Pfadi geht er jede Woche. Jetzt will er dort Leiter wer-den. Geht das dann überhaupt, so ohne eigene Einfälle?
Wie die Schiffer früher die Meeresstille aufs Äusserste gefürchtet haben, kommt es uns oft so vor, als sei Bewegung notwendig, fast egal, in welche Richtung. Überall versuchen wir, „effizient“ zu sein. Im Zug beantworten wir Mails, im Tram lesen wir Nachrichten. Auch wenn wir Arbeit nicht mehr als Auftrag Gottes verstehen, ist uns die Nichtsnutzigkeit ab-handengekommen. „Just do it“, heisst die Devise auch in der Freizeit, wo eine enorme Zerstreuungsindustrie ihr Geschäft mit der Langeweile macht und versucht, uns das Risi-ko des Nichtstuns abzukaufen.
Kein Zweifel: Langeweile kann quälend sein. Das spüren Sie an und mit Ihrem Sohn. Sie leiden mit. Antriebslosigkeit, Missvergnügen und Stimmungstiefs sitzen gleich nebenan, Melancholie grad um die Ecke. Und immer die Angst: Was, wenn das so bleibt? Manche Kinder klagen von klein auf andauernd über Langeweile. Sie sind darin behindert, eigene Aktivitäten zu finden und die Fähigkeit zum freien Spiel zu entwickeln. Sie können nichts mit sich anfangen.
In der frühen Adoleszenz ist Langeweile jedoch eine häufige Reaktion. Die Notwendigkeit, sich von familiären Bindungen zu lösen, eigenständige Beziehungen und eine eigene Per-sönlichkeit zu entwickeln, kann lähmen. Der Abschied von der Kindheit löst nicht nur Eu-phorie aus. Einsamkeit und Weltschmerz sind Geschwister der Langeweile. Ich spreche hier nicht von sozialem Rückzug oder Schulverweigerung, sondern von einem Zustand des Nichtstuns, der beunruhigend und bedrückend sein kann. Dauert er lange an, wird manchmal auch Aggressivität versucht als Gegengift gegen die tiefen Gefühle von Ein-samkeit und Leere, gegen die tödliche Langeweile. Die Spiele und Interessen der Kinderzeit erscheinen nun als „Pipikram“. Die Notlösung: Mit Altersgenossen herumhängen, klagen, wie öde alles ist, und die Zeit totschlagen.
Manchmal geschieht lange nichts. Dann taucht ein Impuls auf. Bei Babys zeigt sich so nach Ansicht des englischen Kinderanalytikers Winnicott etwas zutiefst Eigenes. Vielleicht gilt das für uns alle. Ich verstehe die Klagen Ihres Sohnes als Anfrage: Könnt Ihr mir noch wie als kleinem Kind sagen, was ich tun soll? Was mein Eigenes sein könnte? Wer ich werden kann? Natürlich ist dann keiner Ihrer Vorschläge geeignet, ihm zu helfen. Er möch-te weiter und weiss noch nicht wohin. Er spürt, dass er es selbst herausfinden muss; zu-gleich hat er Angst und will nicht allein bleiben mit dieser Spannung.
Bleiben Sie also im Gespräch und ermutigen Sie ihn, den Zustand zwischen Kindheit und Erwachsensein zu ertragen. Durch Langeweile können wir vor allem in Zeiten des Wech-sels und Übergangs dazu kommen, das Leben selbst in die Hand zu nehmen und zu ver-ändern. So gesehen, ist Langeweile ein rares und wertvolles Gut. Ihr Sohn ist nun auf eine eigene Idee gekommen. Sie sollten Ihre Skepsis überwinden und ihn darin unterstützen.
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