Patchworkfamilie – oder eher Patchworkfalle?

Sabine Brunner, lic. phil.

eidg. anerkannte Psychotherapeutin

brunner@mmi.ch

Der Sommer ist vorbei, und die Schatten des Alltags senken sich auf mich. In den Sommerferien war ich glücklich. Mit meinen Kindern war ich zwei Wochen im Ferienhaus, und danach machten mein Partner und ich eine Reise, während meine und seine Kinder bei ihren ‚anderen Eltern’ waren. Seitdem wir wieder alle zusammen sind, führen mein Partner und ich einen ständigen Kampf um unser Familienleben, und auch die Kinder sind unzufrieden. Ich weiss nicht, wie lange ich dieses Patchwork-Leben noch aushalte.

 

Das Leben in einer Patchworkfamilie ist anspruchsvoll, auch wenn Hochglanzstorys etwas anderes weismachen möchten. Das wussten bereits die Gebrüder Grimm, die vor 200 Jahren in den Märchen ausführlich über Probleme in Stieffamilien schrieben. Darüber, wie Stiefgeschwister miteinander konkurrieren, wie Kinder von den Stiefvätern schlecht behandelt und von den Stiefmüttern verjagt werden.  

Glücklich, so schreiben Sie, waren Sie, als Sie Zeit mit Ihren Kindern alleine im Ferienhaus verbrachten und dann mit ihrem Partner zu zweit unterwegs waren. Schön, dass Sie das geniessen konnten – es zeigt, dass Sie die Beziehung zu Ihren Kindern und zu Ihrem Partner grundsätzlich gut erleben. Es wundert mich nicht, dass Ihnen dies mit getrennten Unternehmungen gelungen ist: So haben Sie ihre Familienbeziehungen deutlich vereinfacht.

Eine Patchworkfamilie besteht aus einem Gewirr von Beziehungen – Familienbeziehungen ganz unterschiedlicher Ausprägung. Da gibt es leibliche Eltern, Stiefväter, Stiefmütter, leibliche Kinder, Stiefkinder, leibliche Geschwister, Stiefgeschwister. Einige Beziehungen sind eng, andere müssen erst noch aufgebaut werden. Verschiedene, bereits gewachsene Familien- und Erziehungsstile treffen aufeinander. Und es florieren Gefühle wie Eifersucht, Neid, Sich-Ausgeschlossen-Fühlen, Konkurrenz, Trauer.

Gute Beziehungen zu leben, ist in einer Patchworkfamilie nicht einfach. Schnell wird in den verschiedenen Untergruppen Verantwortung umhergeschoben, und Rivalitäten unter den Eltern werden gerne über die Kinder ausgetragen. Als Neuentwurf wird die Patchworkfamilie zur Projektionsfläche für Idealvorstellungen. Man möchte diese neue Familie gerne endlich seinen Wünschen entsprechend erleben und erträgt negative Stimmung entsprechend schlecht. Dies erhöht den Druck auf alle Familienmitglieder und wird so zur eigentlichen Patchworkfalle. 

Stattdessen wäre es sinnvoll, Idealbilder über Bord zu werfen und dem gegenseitigen Kennenlernen mehr Raum zu geben. Eine Patchworkfamilie hat das Potenzial für spannende Beziehungserfahrungen; damit diese gut erlebt werden, braucht es die Bereitschaft, die eigene Rolle und die der anderen neu zu definieren. Vielleicht fühlen sich Stiefmama und Stieftochter am besten, wenn sie einen weiten Abstand zueinander halten und einfach zwischendurch mal zusammen lachen? Oder eben wie bei Ihnen diesen Sommer – die Familienmitglieder sind glücklich, wenn sie sich manchmal in kleinere Einheiten aufteilen? 

Das, was Sie in Ihren Beziehungen als gut erleben, besitzt das Potenzial, die Patchworkfamilie zu stärken. Beobachten Sie genau, und reden Sie mit Ihrem Partner und den Kindern darüber. Abläufe, die alle unglücklich machen, können vielleicht abgebaut werden. Formen Sie Ihr höchsteigenes Patchwork-Gebilde! Damit Sie Ihre Situation nicht einfach aushalten müssen, sondern stolz darauf blicken können. Ihre Patchworkfamilie soll nicht zur Patchworkfalle werden.

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