Von Bären und Wölfen gequält

Peter Schwob, lic. phil.

eidg. anerkannter Psychotherapeut

schwob@psychotherapie-bsbl.ch

Ich habe noch nie mit jemandem darüber gesprochen, weil es mir so verrückt und kindisch vorkommt. Aber in letzter Zeit wird es schlimmer, und nun muss ich es wagen. Mein Problem ist: Ich habe Albträume,  oft. Sie fangen immer harmlos an oder sogar schön, ich bin irgendwo, wo es mir wohl ist, und dann kommen plötzlich wilde Tiere auf mich los, Bären, Wölfe und riesige Raubvögel, greifen mich an, kratzen mich mit ihren Krallen, Schnäbeln und Zähnen, von allen Seiten. Ich versuche mich zu schützen, ducke mich, habe schreckliche Angst, es nützt alles nichts, und irgendwann lassen sie von mir ab, ich erwache schweissgebadet, bin noch lange unruhig, kann kaum mehr einschlafen. Bis jetzt dachte ich, das ist halt einfach so. Aber immer öfter bin ich tagsüber müde. Was ist das?

 

Das klingt wie eine Frage ans Traumlexikon; wie wenn Sie eine allgemeingültige, beruhigende Auskunft suchten. Es wäre aber schade, wenn Sie sich mit einer Schablonen-Antwort zufriedengäben: Das, was genau Sie ausmacht, ginge damit verloren. Oder ist gerade das Ihre Hoffnung: Ihren erschreckenden Albtraum nicht ernstnehmen zu müssen?

Ja, gute Frage: Was ist das, was Sie da von innen her angreift und quält? Jedenfalls ist es ausdauernd, es wird Ihnen echt gefährlich, es kommt hinterrücks, stört Sie in schönen Momenten, lässt Ihnen keine Chance und verschwindet dann doch wieder im Dunkeln. Es ist Ihnen fremd, Sie möchten sich lieber nicht damit befassen, aber Sie werden es nicht los, es kommt immer wieder, neuerdings sogar vermehrt.

Was hat sich denn geändert in Ihrem Leben, möchte ich fragen und merke dabei, dass Sie gar nichts zu Ihrem äusseren Leben sagen – ausser, dass Sie schon lange unter Ihren Albträumen leiden, Ihre Sorge aber noch nie mit jemandem geteilt haben. Sie scheinen es gewohnt zu sein, andere von sich und sich von anderen fernzuhalten. Ahnen Sie, wie und wozu Sie das gelernt haben, was der Sinn davon ist? Klar dünkt mich, dass Sie so mit Ihren inneren Bewegungen und Impulsen, Ihrer Wut und Angst und Trauer allein sind, sie nicht im Gespräch mit jemandem einordnen und relativieren (auf Deutsch: in Beziehung setzen) können. Und heftige Affekte neigen dazu, sich aufzuschaukeln, wenn man sich ihnen nicht wie einem verstörten Kind beruhigend zuwendet.

Natürlich könnte man bei den Nacht-Szenen, die Sie schildern, auch an Schlafapnoe, Alkoholkonsum oder Arbeits-Stress denken. Aber meine Gedanken gehen doch eher in Richtung strenges Gefühls-Management: Ist es möglich, dass Sie nicht nur Abstand zu anderen Menschen halten, sondern auch zu jenen Gefühlen und Phantasien, die Ihnen unheimlich sind oder für die Sie  sich verurteilen? Das könnte dann heissen, dass Sie sich von allem Aggressiven distanzieren (wie es ja auch in einem bestimmten Sinne aggressiv ist, jemand anderen mit seinen Albtraumsorgen zu belasten); aber verrückterweise käme es Ihnen dann doch entgegen, in Form von Bärentatzen und Vogelschnäbeln, und Sie würden es nicht als etwas Eigenes erkennen – weil Sie es ja eben nicht haben möchten. 

Ich glaube, Sie haben mit Ihrer Frage einen grossen Schritt getan: Sie haben niedergeschrieben und jemand Fremdem gezeigt, wie es in Ihnen aussieht, und Sie haben es gewagt, sich einen Leser vorzustellen, der Sie ernstnimmt und weniger streng beurteilt als Sie sich selber. Ein nächster Schritt könnte sein, dass Sie Ihre Träume regelmässig aufschreiben und sammeln, und noch später mögen Sie vielleicht mit jemandem darüber sprechen. 

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