Engel, gibt`s die?

Gisela Zeller-Steinbrich

eidg. anerkannte Psychotherapeutin

zeller.steinbrich@bluewin.ch

Neulich fragte mich meine 7-jährige Enkelin, ob es Engel gibt. Mit Weihnachtsmann und Osterhase hat sie ihren Frieden gemacht. Sie glaube jetzt nicht mehr daran, "höchstens noch ein ganz kleines bisschen". Das mit den Engeln will sie nun aber genau wissen. Sie lässt nicht locker. Bisher bin ich ausgewichen. Wir sind alle nicht religiös, und ihre Eltern meinen, ich soll ihr klar sagen, wie es ist. Trotzdem bin ich unsicher. 

 

In der Oper "Hänsel und Gretel" gibt es eine sehr schöne Arie: "Abends, wenn ich schlafen geh, 14 Engel um mich steh‘n, zwei zu meiner Rechten, zwei zu meiner Linken…“ Als beruhigendes Gegenbild zur bedrohlichen Hexe braucht es offenbar einen ganzen Trupp der Schutzbieter. Das Kind soll nicht befürchten müssen, sein eigenes Böse-Sein auf die Mutter könnte diese auch wütend machen und zur bösen Hexe werden lassen. Eigener Ärger vergrössert ja die Angst.

Kinderängste können heftig sein, aber auch wir Erwachsenen wünschen uns oft Absicherung von "höherer Stelle" im Leben oder bei Entscheidungen, aus einem Wunsch nach umfassender Sicherheit. Die Engelswächter im Lied stehen ja auch rundum.

Nun ist es aber mit den Engeln so: Weil niemand je einen sah, gibt es die verschiedensten Vorstellungen, von putzigen Putten bis zu stolzen Engeln mit mächtigen Flügeln, als Einzelfälle der Kunstgeschichte sogar mit Brüsten. In der Regel aber unschuldig kindlich oder geschlechtslos, also auch nicht geplagt von sexuellen Bedrängnissen. Höhere Wesen eben. Jeder kann sich Engel so denken, wie er sie braucht. Haben sie überhaupt ein Wesen? Sind sie körperlos? Passen drei Engel auf eine Nadelspitze? Solche Themen waren im Mittelalter hoch brisant. Und für uns Heutige bleibt die Frage: Gibt es auch ohne magisches Denken mehr, als wir sehen können? Klar ist: Engel sollen mehr Möglichkeiten haben als wir Normalsterblichen. Und eben, sie müssen nicht sterben, kennen also keine Angst vor dem Tod. 

Wenn uns frühe Beziehungen grundlegendes Vertrauen vermittelt haben, können Ängste und Unsicherheiten eher ertragen werden. Aber auch Urvertrauen ist nicht ein für alle Mal gegeben. Es muss stets neu bestätigt werden. Schmerzhafte Trennungen, Erfahrungen von Untreue, nicht eingehaltene Zusagen führen zu Erschütterungen. Ihre Enkelin ist in einem Alter, wo das magische Denken der Vorschulzeit einer realistischeren Sicht weicht. Sie erfährt in der Schule, wie andere Kinder die Welt sehen, und spürt wohl auch, dass sie nun zunehmend auf sich allein gestellt ist. 

Kinder werden nicht gefragt, ob sie zur Welt kommen wollen. Als Gegengabe für diese Unfreiheit machen wir ihnen ein implizites Versprechen: Beschützend für sie da zu sein und sie in ihrer Entwicklung fördernd zu begleiten. Das Bild von Engeln als hilfreiche, beschützende Wesen hilft Kindern gegen die Angst. Weil es aber auch uns Erwachsenen dabei hilft, unsere Unzulänglichkeit bei dieser Aufgabe und unsere Angst um die Kinder auszuhalten, wollen wir nicht schnöde sagen, "Engel, die gibt`s doch nicht". 

Ältere Menschen haben oft ein gutes Gespür für existenzielle Dinge. Also stellen ihnen Kinder solche Fragen. Was würde ich einer 7-Jährigen antworten? "Wissen können wir es nie, nur glauben. Schutzengel sind eine wunderbare Vorstellung: Eine stets gute behütende Macht, damit du Vertrauen haben und zuversichtlich sein kannst. Und weil du nun älter bist und mehr alleine unterwegs, solltest du eng mit deinem Schutzengel zusammenarbeiten und gut auf Dich aufpassen." 

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