Meine Mutter hat Alzheimer, ich bin genervt

Sabine Brunner, lic. phil.

eidg. anerkannte Psychotherapeutin

brunner@mmi.ch

Meine Mutter ist 80 Jahre alt und leidet seit einigen Jahren an Alzheimer. Inzwischen lebt sie in einem Pflegeheim. Ich gehe recht oft zu ihr, in der Regel zweimal pro Woche, esse mit ihr und erledige alles Administrative. Das finde ich richtig und gut. Schwieriger ist es für mich, mit ihr zu reden. Manchmal verfängt sie sich richtiggehend in einem Thema und sagt dann beispielsweise immer wieder, sie müsse nun gehen, weil sie noch einzukaufen und zu kochen habe. Ich habe Mühe, damit umzugehen. Wenn ich sage, sie müsse nicht gehen, nicht einkaufen und nicht kochen, dann nützt das nichts. Sie macht einfach weiter. Bis ich mich genervt abwende.

 

Menschen mit einer Alzheimer-Demenz leiden darunter, dass ihre Wahrnehmungs-, Denk- und Erinnerungsfähigkeit immer mehr beeinträchtigt wird. Dies beeinflusst ihr ganzes Leben und Sein. Sie bekommen Mühe, ihren Alltag zu bewältigen, zeigen verändertes und bisweilen auch skurriles Verhalten. Oft erleben sie dabei belastende Gefühle, von depressiv bis aggressiv-erregt und manchmal auch schnell wechselnd. 

Man kann sich vorstellen, dass es schlimm ist, wenn das Gehirn ‚nicht mehr will’, wenn man sich an gewisse Dinge einfach nicht mehr erinnert, sich auf einem Weg nicht mehr orientieren kann und die Abläufe im Alltag nicht mehr versteht. Ihre Mutter ist nun im Pflegeheim, sie kann offenbar nicht mehr selbständig leben; sie hat aber ein ganzes Leben mit vielen Beziehungen, Rollen und Aufgaben hinter sich. Da die Erinnerungen daran aufgrund ihrer Krankheit nicht mehr schön geordnet abgerufen und eingeordnet werden können, tauchen sie in ihr plötzlich und unzusammenhängend auf, setzen sich im jetzigen Erleben fest und erscheinen ihr dann aktuell und dringlich. Es ist davon auszugehen, dass vor allem diejenigen Erinnerungen, die für ihre Mutter speziell nach einer Lösung drängen oder irgendwie konfliktbeladen sind, sie auch in eine besondere Aufregung versetzen. Ihre Mutter möchte dann wohl, wie alle Menschen, die (vermeintlich) vor ihr liegende Aufgabe möglichst bald lösen. 

Es hilft Demenzkranken nichts, wenn man sie darauf hinweist, sie müssten sich keine Sorgen machen. Und es hilft nicht, ihnen entgegenzuhalten, was real ist. Ihr Realitätserleben wird durch ihre Erinnerung bestimmt, nicht durch das, was jetzt für uns andere wahr ist. Als hilfreich hat es sich hingegen erwiesen, wenn man versucht, die hinter einer Äusserung liegende Stimmung und vielleicht auch die dahinterliegende Erinnerung selbst zu erfassen und das Gespräch in diese Richtung zu lenken.

Ihre Mutter erinnert sich offenbar an ihre Aufgaben als Hausfrau und kommt in Stress, weil sie gemäss dieser Erinnerung noch einiges erledigen sollte. Vielleicht hat sie früher diesen Stress oft erlebt. Dann könnte es ihr helfen, wenn Sie auf diese Aufgaben und die Stressgefühle dabei eingehen würden. Beispielsweise mit der Bemerkung, dass man als Hausfrau manchmal sehr viel zu tun hat und die Zeit drängt. Oder dass man natürlich in Stress kommt, wenn noch nicht alles erledigt ist. 

Ziel ist, dass ihre Mutter sich in ihrem Erleben richtig verstanden fühlt. Das hilft ihr, von der Fixierung an die Erinnerung loszukommen und sich wieder dem Moment zuzuwenden. Vielleicht können Sie sogar miteinander noch etwas weiter in die Erinnerung der Mutter eintauchen, und Sie erfahren etwas von dem, wie Ihre Mutter frühere Situationen erlebt und was sie dabei beschäftigt hat. Das könnte auch für Sie spannend werden!

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