Kinder oder keine – muss ich mich rechtfertigen?

Gisela Zeller-Steinbrich

eidg. anerkannte Psychotherapeutin

zeller.steinbrich@bluewin.ch

Meine Frau und ich (37 und 45) sind seit 8 Jahren zusammen, beide engagiert im Beruf, mit gemeinsamen Interessen und einem stabilen Freundeskreis. Meine Frau meint immer, uns gehe es doch auch ohne Kinder gut und sie werde nie die Supermutter. Zudem sieht sie im Unternehmen, dass Frauen, die lange pausieren oder Teilzeit arbeiten, kaum noch interessante Aufgaben bekommen. Ich habe an meinen Eltern erlebt, welche Überforderung Kinder sein können, und war deshalb auch nie sehr auf Kinder aus. Nun hat wieder ein Kollege von mir eine kleine Tochter bekommen, und ich werde immer öfter gefragt: „Wollt Ihr denn keine Kinder?“ Das setzt mich unter Druck.

 

Leider ist es üblich geworden, intimste Fragen in aller Öffentlichkeit zu verhandeln. Wenn auf dem Weihnachtsbild von William und Kate das sogenannte "Babybäuchlein" nicht ersichtlich ist, wird das in der Presse bemängelt. Vorbei sind die Zeiten, in denen ein Paar "guter Hoffnung" war (eine innere Angelegenheit) und die Mitmenschen diskret damit umgingen. Ich wünsche uns nicht die körperfeindlichen 50er-Jahre zurück, in denen das zu Erwartende schamhaft unter wallendem Plissee verborgen wurde. Aber ich finde, das Pendel ist zu weit in die andere Richtung ausgeschlagen. Nicht, weil schwangere Frauen in berechtigtem Selbstbewusstsein ihren Zustand zeigen, sondern weil nun alle Welt meint, Zugriff auf persönlichste Informationen zu haben. Schwangerschaft und Neugeborenes werden allzu oft wie eine Trophäe behandelt. 

Ob Sie zu zweit bleiben oder eine Familie gründen, ist einzig und allein Ihre Sache und die Ihrer Frau. Weder sehnsüchtige Wunsch-Grosseltern noch Freunde, die Leidensgenossen für die Baby-Zeit suchen oder ihre Freude teilen wollen, haben mitzureden. "Kinder oder keine?"  ist eine der intimsten und zugleich weitreichendsten Fragen in einer Partnerschaft. Und dort, mit Ihrer Partnerin, müssen Sie das klären - nicht mit Kollegen, mit den Eltern oder in sozialen Netzwerken. 

Dass Sie Druck erleben, könnte darauf hinweisen, dass Sie selbst letztlich in der Frage nicht sicher sind. Heisst das, es besteht ein latenter Kinderwunsch, bloss wollen Sie vielleicht Ihr Leben nicht tiefgreifend umstellen? Schlummert tief in Ihnen die Überzeugung, dass Kinder "irgendwie dazugehören" oder dass Lebenserfolg auch Nachwuchs einschliesst? Sehen Sie keine gute Lösung für das Dilemma Ihrer Frau und wollen andererseits nicht alles mit ihr teilen, indem auch Sie nicht mehr Vollzeit arbeiten? Schont Ihre Frau Sie in der Frage, weil Sie die bis heute wirksamen Rollenerwartungen verinnerlicht hat und auch selbst meint, es wäre an ihr alleine, das Problem Kinder vs. Beruf zu lösen? Sind Sie beide ängstlich aufgrund Ihrer Vorgeschichte? 

Die Entscheidung für oder gegen Kinder ist nicht leicht in einer Gesellschaft, in der Nachwuchs oft mit dem Happy End im Film gleichgesetzt wird. Menschen, die gut überlegen, weil sie wissen, nach der publikumswirksamen Schwangerschafts- oder Geburtsverkündung beginnen die Aufgaben erst, wären oft gute Eltern. 

Die Frage "Kinder oder keine?" berührt das Selbstverständnis und die Lebensführung: Wer bin ich, und wie sehe ich mich im Leben? Wie sehen wir unsere Zukunft? Wie gestalten wir unsere Partnerschaft? Solche Fragen gehören nicht auf den Marktplatz und dürfen zurückgewiesen werden. Sie mit sich und der Partnerin rechtzeitig zu klären, bevor keine Wahlmöglichkeit mehr besteht, empfiehlt sich aber dringend.

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