Grosse Hilflosigkeit mit unserem Sohn

Peter Schwob, lic. phil.

eidg. anerkannter Psychotherapeut

schwob@psychotherapie-bsbl.ch

Mich plagt etwas. Unser Sohn R. (27) steckt seit sieben Jahren in einem Studium, hat zum x-ten Mal eine Zwischenprüfung nicht bestanden. Die ersten Semester verliefen gut, dann begann das Problem. Er sagte sich von uns los, weil wir ihm zu viel Druck machten. Dabei fragten wir nur ab und zu, wie es nun weitergehe. Wir suchten dann wieder den Kontakt und überzeugten ihn, bei einem Psychiater Hilfe zu holen. Der diagnostizierte eine mittelschwere Depression. R. lehnte aber Medikamente ab und ging nach drei Sitzungen nicht mehr hin.

Leider sind mein Mann und ich uns nicht einig, wie wir uns verhalten sollen. Er schlägt sich immer auf die Seite von R. und glaubt dessen Versprechungen. Er fürchtet sich auch davor, dass R. sich etwas antun könnte, und verunsichert mich damit. So bleibt alles beim Alten. Kürzlich habe ich mitgehört, als R. jemandem sagte, er stehe kurz vor dem Studienabschluss. Er lügt! Das erschreckt mich. Wir unterstützen ihn mit tausend Franken im Monat; dank AHV und Pensionskasse können wir das verkraften.    

 

Der Name „Grosse Hilflosigkeit“, den Sie Ihrem Problem geben, scheint mir sehr treffend, und zwar in dreierlei Hinsicht. Zuerst passt er wohl dazu, wie Ihr Sohn sich fühlt im Studium und mit Blick auf das Berufsleben: Er kann sich mit beidem nicht anfreunden, weder ein-, noch aus- noch umsteigen, und treibt also passiv dahin. R. möchte sich aber nicht so sehen, schwindelt und verweigert jede Hilfe. Gegen diesen Teil der Hilflosigkeit kann nur er etwas unternehmen, und zwar erst, wenn er sie selber empfindet. Je mehr Sie ihm helfen wollen, desto mehr verbarrikadiert er sich in seiner vermeintlich gelassenen Position. Ich glaube, das Beste, was Sie tun können, ist: nichts – nicht fragen, nicht drängen, nicht helfen. Dann kann er irgendwann selber aktiv werden; so, wie es jetzt läuft, verbraucht er seine Kraft dafür, sich gegen Ihre Kraft zu wehren. 

Damit ist auch schon die zweite Hilflosigkeit angesprochen, Ihre, die der Eltern. Sie entsteht wohl, weil Sie R. seine Hilflosigkeit ersparen wollen – weil Sie umso aktiver werden, je passiver er wird. Da er aber erwachsen ist, will er Ihnen (und hat recht damit) nicht mehr Rede und Antwort stehen. Damit geraten Sie in eine verzwickte Lage: Sie wollen ihm helfen, in Gang zu kommen, und helfen ihm so dabei, seinen Stillstand zu verteidigen. Ihre Arbeit ist es jetzt, sich zurückzunehmen und vielleicht damit leben zu lernen, dass er einen andern Weg wählt. 

Dadurch, dass Sie und Ihr Mann unterschiedlich agieren, entsteht die dritte Hilflosigkeit, nämlich die zwischen Ihnen beiden. Natürlich wäre es gut, Sie könnten im Gespräch eine einheitliche Haltung finden. Wenn dies zurzeit nicht möglich ist, dürfen Sie sich nicht blockieren lassen. Werden Sie aktiv, verharren Sie nicht in der gemeinsamen Bewegungslosigkeit! Sagen Sie R., Sie zahlen ihm den Unterhaltsbeitrag noch genau sechs Monate; ab dann sei er auch finanziell für sich selber verantwortlich. Und sagen Sie nichts, gar nichts mehr zum Studium oder seiner freien Zeit. So kann er die eigene Verantwortung wahrnehmen. Wie er sie wahrnimmt, darf Sie nicht kümmern. Und wie Ihr Mann weitermacht mit ihm, ebenfalls nicht. Ganz wichtig ist, dass Sie sich nicht von Angst und Drohungen verunsichern lassen, sonst sind Sie ein Spielball und keine Stütze.

Mit dem gesparten Geld unternehmen Sie und Ihr Mann etwas Schönes – Sie haben lange genug gearbeitet, jetzt ist Ihr Sohn dran.

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