Diese ewigen Kurzbeziehungen

Jörg Hirsch, lic. phil.

eidg. anerkannter Psychotherapeut

joerg.hirsch@bluewin.ch

Ich (m, 29) wundere mich in letzter Zeit vermehrt über mein Beziehungsverhalten. Oft verliebe ich mich heftig in eine Frau, und sie erscheint mir dann als die schönste und beste mögliche Partnerin. Doch immer dann, wenn die Beziehung in die Tiefe geht und die Nähe näher kommt, sträubt sich etwas in mir, und ich MUSS mich trennen – und dann auf meist nicht sehr schöne Weise. Habe ich zu hohe Ansprüche, oder was stimmt da nicht?

 

Es beeindruckt mich, dass Sie den Fehler nicht bei den anderen suchen, sondern Ihr eigenes Verhalten in Frage stellen. Sie erkennen, dass sich in Ihrem Beziehungsverhalten immer wieder ein typisches Muster zeigt. Derartige Muster entwickeln wir zur Bewältigung von belastenden Situationen und um ihre Wiederholung zu vermeiden, sie sind also nicht angeboren. 

In einer Liebesbeziehung geht es um Nähe. Es braucht dazu Vertrauen und Hingabe. Inwiefern wir zu solchen Gefühlen fähig sind, ist ein Ergebnis unserer bisherigen, zum Teil sehr frühen Erfahrungen. Jeder Mensch wird mit der Fähigkeit zur Liebe geboren, ohne sie wäre er nicht lebensfähig. Ob diese Liebe ihren natürlichen Ausdruck finden kann, ist abhängig von der Beziehung, die die Eltern mit dem Kind aufbauen. Wenn das Kind in einer vertrauensvollen, liebenden, nährenden Umgebung aufwächst, entwickelt es Urvertrauen, das als Vorlage für spätere Beziehungserfahrungen dient. Wenn diese erste Bindung aber konflikthaft ist und das Nähebedürfnis des Kindes immer wieder enttäuscht wird, erlebt es Bindungsnähe als gefährlich und zu Enttäuschung und Leid führend. Das wird dann zum Grundmuster, denn alle weiteren Beziehungen folgen den Erfahrungen der frühen und auch späteren Beziehung zu den Eltern und Geschwistern. 

Könnte es sein, dass Sie die nach dem Rausch des Verliebtseins sich vertiefende Nähe unbewusst mit frühen negativen Erfahrungen in Verbindung bringen? Haben Sie dann eventuell in sich Tendenzen, die Beziehung immer wieder zu testen, auf die Probe zu stellen? Als würden Sie auf ein negatives Ergebnis warten und positiven nicht vertrauen? Sie schreiben ja auch, dass Ihnen anfangs die Partnerin als die beste und schönste erscheint. Idealisierung gehört zum Verliebtsein; reale Menschen sind aber nicht ideal, und so werden Sie zwangsläufig enttäuscht. Und dann trennen Sie sich so, dass Sie nicht gerade stolz auf Ihr Verhalten sind. Es fällt Ihnen offenbar schwer, zu dem zu stehen, was Sie fühlen. Anderseits können Sie auch den Gedanken zulassen, sich nicht wirklich fair zu verhalten, d.h. Sie haben die Fähigkeit zur Selbstkritik. 

Ein anderer Aspekt Ihres Verhaltens sticht mir ebenso ins Auge: Sie werten Ihre Partnerin ab, weil sie nicht so perfekt ist, wie es Ihnen zusteht. Klingt da nicht eine Selbstverliebtheit an, die frag-würdig, einer Frage würdig ist? Gelten die Ansprüche an Ihre Partnerin auch für Sie selbst? Verdecken Sie damit eventuell eine zugrundeliegende Unsicherheit? Wenn Sie zu diesen Fragen wirklich Antworten wollen, müssen Sie sich Ihrer Muster noch bewusster werden. Dazu wird es nötig sein, sich Ihre Lebensgeschichte zu vergegenwärtigen. Doch das kann nur der erste Schritt sein, denn letztlich bedarf es der Neuorientierung, sodass Nähe nicht mehr zum Vermeidungsverhalten führt. Sie brauchen also die lebendige Erfahrung, dass Nähe nicht zwangsläufig Leid zur Folge hat. Dafür ist eine seriöse Psychotherapie bestens geeignet - ich kann Ihnen also nur empfehlen, bei einer Fachperson Hilfe zu suchen.

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