… wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt

Susann Ziegler, lic. phil.

eidg. anerkannte Psychotherapeutin

susann.ziegler@bluewin.ch

Ich (68, seit 3 Jahren Witwe) ärgere mich oft und heftig über einen meiner Haus-Miteigentümer (Stockwerkeigentum, drei Parteien), der mir das Leben mit Spitzfindigkeiten schwer macht. Wir haben keinen offenen Streit, aber ich bekomme subtil Steine in den Weg gelegt: Er ist der Ansicht, dass ich für Hauswartung und Buchhaltung mit Fr. 25.- pro Stunde einen zu hohen Lohn bekomme; er lässt bei Reparaturen immer Gegenofferten erstellen; nach mündlichen Abmachungen ändert er seine Meinung, und alles fängt wieder von vorne an. Einen Wohnungswechsel kann ich mir nicht leisten. Ich versuche ja selbst, die Verwaltungskosten niedrig zu halten, und die dritte Partei unterstützt das sehr, ist aber leider wenig im Haus anwesend.

Ich möchte versuchen, diesen Nachbarn nicht mehr ernst zu nehmen. Aber wie?

 

Ich denke, das kann nicht gehen, und zwar darum, weil Sie im selben Haus leben und sich ständig begegnen. Es ist ohnehin schwer bis unmöglich, per Beschluss ein Gefühl zu haben oder nicht zu haben. Da sind stärkere Mechanismen am Werk, die unsere Gefühlswelt regulieren. Wahrscheinlich hilft es Ihnen mehr, wenn Sie das Gefühl innerlich zulassen und bearbeiten, um zu verstehen, wie es sich genau anfühlt, in welchem Körperteil Sie es am meisten spüren, woher es kommen mag, ob sie es von anderswoher kennen. Es  nicht beachten zu wollen, würde ihr Seelenleben einschränken und es verkümmern lassen – und das wegen eines plagenden Nachbarn? Nein!

Wenn die Lage schon so verhärtet ist, gewinnen Sie mehr, wenn Sie den schwelenden Konflikt ganz zu sich nehmen; klären Sie mit sich selbst, was alles Sie dermassen wütend macht: Sie haben keinen Partner mehr, um den täglichen Frust zu besprechen; trifft der Nachbar da den wunden Punkt Ihrer grossen Trauer, eventuell auch Ihrer Einsamkeit? Spielt auch Neid darüber mit, dass der Nachbar sich so rücksichtslos zu benehmen traut? Sie haben gelernt, sparsam und bescheiden zu leben; baut Ihr Selbstbild darauf auf? Nun kratzt jemand an ihrer Grundüberzeugung, wenn Ihr bescheidener Lohn als Anmassung beurteilt wird – dürfen Sie denn nichts fordern, dürfen Sie keine Ansprüche stellen? Ist Bescheidenheit dermassen eine Zier, dass Sie sogar ein schlechtes Gewissen haben, wenn Sie für Arbeit bezahlt werden? Infolge Ihrer finanziellen Knappheit liegt ein Wohnungswechsel nicht drin. Eine externe Administration oder Hauswartung kostet ein Mehrfaches und würde Sie entsprechend mehr belasten. Sie möchten das mit persönlichem Einsatz vermeiden, der schlussendlich allen dient. Und dann kommt Ihnen statt Dankbarkeit Skepsis und Kritik entgegen.

Diese Abhängigkeit nervt. Kennen Sie das aus früheren Zeiten in ihrem Leben? Waren äussere Bedingungen schon immer Anlass zu Ärger, und durften Sie schon damals nicht aufbegehren, weil es die Umstände nicht erlaubten? Vielleicht setzten Sie sich auch damals mit aller Kraft ein, und alle nahmen es für selbstverständlich, niemand erkannte, dass Sie darunter litten. Warum dürfen Sie eigentlich keinen offenen Konflikt wagen, wenn dieser eh schon schwelt? Haben Sie gelernt, dass Sie dabei immer den Kürzeren ziehen? Es gibt Menschen, die legen immer noch einen Zacken zu, solange sie keine Grenzen zu spüren bekommen; erst bei Eingrenzung wächst ihr Respekt.

Alle diese Anregungen beanspruchen nicht, ins Schwarze zu treffen. Nutzen Sie die missliche Situation, um über Ihr Leben und Ihre Gefühle nachzudenken und so Ihren persönlichen Horizont zu erweitern.

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