Warum kann der nicht mit mir ein Bier trinken?

Peter Schwob, lic. phil.

eidg. anerkannter Psychotherapeut

schwob@psychotherapie-bsbl.ch

Ich (m, 45) bin in einer Psychotherapie. Es ist nicht leicht zu reden, aber es tut mir gut, ich verstehe manches schon viel besser, bin gelassener geworden. Schwierig ist für mich, dass der Therapeut so auf Abstand beharrt. Ich würde ihn gern mal ausserhalb der Praxis treffen, um Dinge zu erzählen, die nicht zu meinem Problem gehören. Und ich wüsste gern, wie er so lebt. Unsere Gespräche sind so einseitig! Wenn ich das andeute, weicht er aus. Dabei glaube ich, er mag mich und spricht gerne mit mir. Warum dann so kühl? Warum kann der nicht mit mir ein Bier trinken?

 

Weil er Ihr Psychotherapeut ist und nicht Ihr Freund, kommt mir zuerst in den Sinn. Aber der Reihe nach. Sie deuten ihm Ihren Wunsch an, sagen ihn nicht ausdrücklich. Das ist schade, weil Sie gemeinsam auf wichtige Themen stossen könnten. Ahnen Sie, wen Sie mit Ihrem Nicht-Sagen wovor schützen wollen? Sich selbst vor dem Tadel, ansprüchlich zu sein? Ihn vor der Blossstellung, die in Ihrem Vorwurf liegt? Sie beide vor kleinkarierter Auseinandersetzung, wo es doch um grosse Themen gehen müsste, ums Leben? Oder finden Sie Ihren Wunsch nach Nähe einfach peinlich?

Es gibt in dem Thema eine ganz banale Ebene: In der Therapie geht es um Sie, um Ihre Themen. Dafür nehmen Sie die Mühen des Sprechens auf sich, dafür bezahlen Sie. Den Therapeuten berührt natürlich das, worüber Sie zusammen sprechen, aber er nimmt sich zurück und fokussiert immer wieder auf Sie. Es gibt nichts, was unwichtig wäre und darum nebenbei, beim Bier, gesagt werden könnte. Das Ganze hat etwas Einseitiges, Eingeschränktes, das ist klar. Und trotzdem tut es Ihnen gut, Sie möchten gern mehr davon bekommen. Und genau da sitzt wohl Ihre Empörung: Dass das Verständnis, das Sie brauchen und bekommen und wofür Sie doch beim Erzählen so viel Mut aufbringen müssen, so schnell begrenzt ist. Verständnis verbinden Sie mit Freundschaft, vielleicht sogar mit dem, was Sie von Ihren Eltern bekommen (oder zu wenig bekommen) haben.

Ihr Psychotherapeut ist für Sie einerseits ein Dienstleister, der eine Aufgabe, die Sie ihm übertragen, gut erfüllt – er versteht Sie, hilft Ihnen, die Elemente Ihres Lebens zu verbinden und so ruhiger zu werden. Aber da bleibt  ein unangenehmer Rest: Er ist für Sie so etwas wie ein Freund oder ein Wunsch-Vater geworden, Sie möchten, dass er auch Sie mag, gern mit Ihnen zusammen ist und an Sie nicht nur als Patienten denkt. Und da stört der Abstand: Er erinnert Sie schmerzlich daran, dass Sie eine Arbeits-Beziehung eingegangen sind, keine private.

Es ist gut, dass diese Differenz spürbar wird: An ihr können Sie entdecken, was Ihre Wünsche sind und dass etwas Sie leitet, was jenseits des Erwachsen-Vernünftigen liegt. Es ist ein kindlicher Wunsch, könnte man sagen; vielleicht sogar eher ein Anspruch, ein Gefühl, noch etwas zugute zu haben. Gut möglich, dass Sie im Alltag nicht darüber stolpern; erst in engen Beziehungen oder eben in einer Psychotherapie kommen solche grossen Wünsche an die Oberfläche. Manchmal geraten aber Beziehungen ihretwegen in Krisen – viele von diesen Wünschen können PartnerInnen schlicht nicht erfüllen. In der Therapie haben Sie die Chance, sie zu erkunden, ohne jemanden unter Druck zu setzen oder zu überfordern. Oder ist gerade das nicht ganz klar? Fürchten Sie insgeheim, Sie könnten die Zuneigung des Therapeuten verlieren oder er seine Contenance? Lassen Sie‘s drauf ankommen! Sie sind dabei, neues Gebiet zu betreten!

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