Warum tut Scheiden weh?

Sabine Brunner, lic. phil.

eidg. anerkannte Psychotherapeutin

brunner@mmi.ch

Meine WG-Partnerin hat sich von ihrem Freund getrennt, mit dem sie vier Jahre zusammen war. Nun läuft sie herum wie ein Geist, wirkt sehr unglücklich und weint abends oft. Dabei hat sie doch selbst diesen Schritt  gemacht und vorher oft geklagt, wie wenig ihr  Freund sich um sie kümmere. Warum ist sie so unglücklich, und wie kann ich ihr helfen?

 

Liebe tut manchmal weh, Trennen meistens. So stark das schöne Anfangsgefühl ist, so schmerzlich sind danach Enttäuschungen. Glück und Unglück gehören bei der Liebe eng zusammen. Und mit dem Ende einer Beziehung bricht vieles weg, auch wenn man es selbst in die Wege leitet. 

Ich stelle mir vor, dass man im Verlaufe einer Liebesbeziehung so etwas wie ein gemeinsames seelisches Gewebe webt. Es wird grösser, je länger und enger man zusammen ist. Viele Lebensfasern – psychische wie alltagsbezogene – gibt es nur gemeinsam. Nach dem Ende der Beziehung brauchen beide Partner ihr eigenes Gewebe wieder. Beim Trennen werden einige Fasern zerschnitten. Deren Enden müssen nun einzeln verknotet werden, damit das Gewebe sich nicht auflöst; andere Fäden werden einzeln aus dem Stoff herausgelöst und sorgsam neu verwoben. Es ist ein längerer innerer Prozess, bis das seelische Textil wieder für jeden einzeln vorhanden und vollständig ist – das braucht Zeit.

Eine Liebesbeziehung ist geprägt von Gedanken, Vorstellungen und Bildern, die man sich voneinander macht. Zu Anfang sieht man sich gegenseitig positiv, fühlt sich liebenswert und fähig zu starken, grossen Gefühlen. Die Zuwendung, die man erhält, stärkt das eigene Selbstwertgefühl. Wir glauben daran, dass es möglich ist, uns den Idealbildern anzunähern, die wir von uns selber und vom Leben haben. 

Lässt die Idealisierung nach, kommen Selbstzweifel auf und auch Zweifel am Gegenüber. Die Stärkung des Selbstwertgefühls nimmt ab. Unzufriedenheit miteinander führt vielleicht dazu, das Ende der Beziehung  ins Auge zu fassen. Wird es realisiert, müssen auch gemeinsame Zukunftspläne begraben werden. Es gibt nun keine Unternehmungen zu zweit, keinen regelmässigen Austausch mehr. Niemand versteht mich, konfrontiert mich, hält mir einen Spiegel hin. Ich kann mich auf niemanden mehr stützen, und nicht einmal mehr mit dem Partner streiten kann ich. Das alles schmerzt enorm. Einsamkeit breitet sich aus und oft auch ein Gefühl von Desorientierung, Leere und Sinnlosigkeit.

Manchmal ist es möglich, Menschen mit Liebeskummer auf einer alltäglichen Ebene Hilfe anzubieten. Vielleicht muss der Alltag neu organisiert werden, es braucht eine neue Wohnung, oder Verantwortungen müssen aufgeteilt werden. Tatkräftiges Unterstützen bei diesen Aufgaben kann helfen, den Kummer etwas zu vergessen und sich nicht so allein zu fühlen. Und mit dem gelebten Alltag kommt eventuell die Einsicht, dass das Leben auch ohne den Liebespartner weitergeht und lebenswert ist. 

Oft helfen Gespräche über den Schmerz hinweg. Tröstende, verständnisvolle Gespräche, in denen man gemeinsam versucht, das Geschehene durchzugehen und zu verstehen. Es tut gut, zu merken, dass jemand da ist, der das, was man gerade erlebt, bestätigt und mitträgt. Jemand, der sich dafür interessiert, wie es einem geht. Manchmal reicht die Unterstützung durch FreundInnen aber nicht aus. Vielleicht, weil das Auflösen der Liebesbeziehung eine tiefere Lebenskrise ausgelöst hat, Themen der Vergangenheit hochkommen oder die Zukunft allzu bedrohlich erscheint. Dann ist es gut, professionelle Hilfe zu suchen.

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