Sich ärgern

Sabine Brunner, lic. phil.

eidg. anerkannte Psychotherapeutin

brunner@mmi.ch

Gehören Sie auch zu denjenigen, die sich gerne über andere Menschen ärgern? Machen Sie sich oft Luft, indem Sie sich über das Verhalten Dritter beschweren? Können Sie es kaum ertragen, wenn Ihnen jemand in der Sonne steht, sich in der Warteschlange vor Sie drängt oder Sie im Vorbeigehen mit Taschen anstösst?

 

Dieses lästige, störende, schwierige Gefühl des Ärgers! Der eben doch so wichtig ist und uns in seiner ganzen Negativität hilft, uns in sozialen Räumen zu bewegen! Der liebe Ärger, der anzeigt, wo unsere eigenen Grenzen liegen – psychische wie physische, und der sich meldet, wenn es für uns wichtig ist, unseren Bewegungsraum zu sichern. Der anzeigt, wann wir uns behaupten sollten.

Doch Ärger hilft nicht nur, sich in sozialen Räumen zu behaupten und zu bewegen, er stellt auch eine Strategie dar, um mit Situationen umzugehen, die uns herausfordern – genauer: eine Abwehrstrategie. Es ist weniger verunsichernd, sich über andere zu ärgern, als sich selbst und sein eigenes Verhalten infrage zu stellen. Es ist weniger traurig, sich über jemanden zu ärgern, als zu erkennen, dass wir von einer Lebensidee, einem Wunsch, vielleicht auch einer Liebe Abschied nehmen müssen. Es ist weniger verletzend, das Gegenüber ärgerlich zu finden, als zu erkennen, dass man selbst so, wie man ist, nicht wertgeschätzt wird.

Was mache ich nun aber mit überschiessendem Ärger? Was mache ich, wenn ich deswegen bereits körperliche Symptome verspüre oder meine Partnerin,  mein Partner sich über meine Ärger-Neigung bitter beklagt? Wenn Leute an meiner Arbeitsstelle unter meinem ständigen Ärger leiden?

Dem eigenen Ärger als starkem negativem Gefühl kann man natürlich erstmal mit dem Versuch begegnen, sich wieder in ein emotionales Gleichgewicht zu bringen. Es ist grundsätzlich immer und bei jedem Gefühl möglich, die innere Ruhe wiederzufinden – ohne sich selbst zu hinterfragen und zu verstehen. Die Selbstregulation von Gefühlen ist eine Aufgabe, der wir von klein auf begegnen. Mit Hilfe unserer Eltern und anderer Personen lernen wir immer besser, uns so zu regulieren, dass wir nicht allzu schnell aus der emotionalen Bahn geraten. Und wir finden heraus, was uns dabei hilft – jeder und jede hat eigene Strategien. 

Daneben wäre es oft auch einen Versuch wert, sich selber noch ein wenig besser zu verstehen: Wie gehe ich mit Angelegenheiten um, die mich fordern? Wofür steht mein Ärger? Was will ich damit bewältigen oder verdecken? Was geschähe mit mir, wenn ich den Ärger einfach wegliesse? Was würde ich dann fühlen? Und als letztes die Frage: Möchte ich so sein, wie ich offenbar wirke? Wenn nicht, wie möchte ich dann sein? Und welche Schritte führen mich in diese Richtung? 

Ich würde niemandem raten, auf seine Ärger-Fähigkeit zu verzichten. Zu wichtig ist diese Reaktion. Und doch würde sich das Leben wohl für einen selbst als auch für andere leichter anfühlen, wenn der Ärger etwas kleiner würde. Im Zweifelsfall könnte man ja drüber lachen…

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