Moralinsauer klingt es, dieses Wort «verzichten». Besserwisserisch. Von oben herab. Wasser predigen und Wein trinken. Unterwegs mit Jugendlichen in einem Wanderferienlager, traf ich um 1980 im Engadin in einer Fremdarbeiterbaracke tatsächlich auf ein Schild mit dem Spruch, den ich nur aus Kriegsschilderungen und von meinem Vater kannte: «Altes Brot ist nicht hart, kein Brot ist hart», und war empört: Reine Ausbeutung.
Jetzt taucht es wieder auf, das Wort Verzicht, getrieben von Klimakrise und Ukrainekrieg. Benzin und Diesel subventionieren? Sicher nicht, sondern weniger Auto fahren! Zwei Drittel unserer Getreideimporte dienen der Fleischerzeugung, während Afrika auf eine Hungerkatastrophe zusteuert? Sicher nicht, sondern weniger Fleisch essen! Unser Erdöl finanziert Putins Krieg? Sicher nicht, sondern Pullover anziehen! Gas verbrennen, um künstliches Karotin herzustellen, das Zuchtlachs schön rosa macht? Sicher nicht, sondern den Luxuskonsum reduzieren! Windräder und Staumauern im Naturschutzgebiet? Hmm. Ich will beides. Zielkonflikt. Unlösbar. Denkstopp.
«Verzichten» klingt einfach, aber lässt mich auffahren. Ich soll etwas nicht haben oder tun, jemand will mir etwas wegnehmen. Die Grünen, die Linken, die Wissenschaftler, die in Bern. Oder das, was jemand Realität nennt, um mich zu gängeln? Ich habe mir diese Reise verdient, im doppelten Sinne, die lasse ich mir nicht ausreden. Sollen erst einmal die andern so wenig verbrauchen wie ich, dann reden wir wieder drüber. Mein ökologischer Fussabdruck ist ziemlich gut.
Schon klar: Ich mokiere mich hier über andere. Aber ich komme dabei auch nicht gut weg, denn ich finde es ebenfalls schwierig, mich einzuschränken. Ich habe kein Auto, aber geniesse es, mit dem Mietcamper durch Italien zu tuckern; ich fliege fast nie, fahre aber oft mit Zug und Postauto in die Berge; habe keine Yacht, aber lebe in einer grossen Wohnung und einem Ferienhäuschen; spare Strom, aber meinen Solarstrom produzieren chinesische Module; ich liebe Lammkoteletts vom Grill, auch wenn sie aus dem Safiental stammen und nie aus Neuseeland; ich hänge an meinen Büchern, auch wenn sie mehr Rohstoffe und Platz verbrauchen als E-Books; ich spende etlichen Hilfswerken und NGOs, aber es tut mir nicht weh.
Was, wenn es anfängt wehzutun? Flüchtlinge in der Wohnung? Zu eng. Das Ferienhäuschen aufgeben? Meine zweite Heimat!? Mehr Geld spenden? Was, wenn die AHV knapp wird? Fast kein Fleisch essen? Dagegen gibt es kein Argument ausser der Lust am Essen, und die zählt nicht.
Endlose innere Widersprüche. Um verzichten zu können, muss ich klären, was mich ausmacht und was nur Zusatz ist. Was bloss Wunsch ist und was Bedürfnis. Oder sind es gerade die Wünsche, die die Kultur ausmachen, mich kennzeichnen, das Verzichtbare? Über Vier-Pässe-Fahrten kann ich leicht spotten, Island zur Feier der Pensionierung abzusagen, wäre bitter. Ohne Ruhe in den eigenen vier Wänden kann ich nicht leben. Stimmt das? Getraue ich mich, es einer Flüchtlingsfamilie zu sagen? Nein. Das Allermeiste, was ich habe, ist Luxus, und ich bin noch nie in die Nähe davon gekommen, auf etwas verzichten zu müssen, was mich ausmacht. Anderseits: Bewirkt mein Verzicht überhaupt etwas, ist er nicht bloss symbolisch und dient der Selbstberuhigung? Oder ist auch das nur eine Ausrede? Und ist Solidarität nicht ein Wert an sich, auch jenseits konkreter, messbarer Wirkung? Es geht nicht auf, an keiner Ecke. Es gärt. Also?
Vielleicht so: Jede und jeder verzichtet, egal worauf. Wer mehr verbraucht, mehr. Hauptsache: Alle. Dafür braucht es gesetzliche Regelungen, Einzelaktionen reichen nicht, weder vom Ergebnis noch vom Durchhalten her.
Kommentar schreiben