Krieg, toxische Männlichkeit und wir

Susann Ziegler, lic. phil.

eidg. anerkannte Psychotherapeutin

susann.ziegler@bluewin.ch

Kennen Sie Regierungschefinnen, die einen Angriffskrieg angezettelt haben? Mir fällt auf, dass ich nur Männer kenne, die sich durch diese Aggressionsform auszeichnen: Putin, Stalin, US-Präsidenten, Hitler, arabische Emire, afghanische Stammesfürsten, Könige etc. Statistisch gesehen regieren mehr Männer als Frauen, klar. Trotzdem ist mir aus dem jetzigen und letzten Jahrhundert keine Frau bekannt, die einen Angriffskrieg inszenierte, wie wir ihn gerade jetzt von Putin erleben.

 

Kriegführende Frauen der letzten Jahre:

  • Margaret Thatcher: Falklandkrieg 1987, Verteidigungskrieg
  • Golda Meir: Verteidigungskrieg 1973 nach Angriff von Ägypten und Syrien
  • Indira Gandhi, Indien: 1971 (formal) Verteidigungskrieg gegen Pakistan

Wie ist dieses Phänomen zu verstehen? Vermutlich ist es nicht auf eine biologische Geschlechterdifferenz zurückzuführen: Wir wissen, dass Frauen nicht friedfertiger sind als Männer, dass Aggressionen bei allen Geschlechtern vorkommen. Also müssen wir die gesellschaftliche Sozialisation als wichtige Treiberin annehmen. Erziehung, Rollenzuschreibungen, gesellschaftliche Akzeptanz sind trotz enormen Fortschritten der Gleichberechtigung der Geschlechter eine sehr dünne Firnisschicht. Sind Machtgefühl, Sendungsbewusstsein, narzisstische Gratifikation, sexualisierte Gewalt noch immer eine Form männlichen Sicherheitsbedürfnisses, männlicher Identität?

Wir lernen früh, was Männlichkeit auszeichnet: Entschlossenheit, Kraft, Kampfgeist, Unternehmertum, Durchsetzungsfähigkeit, «Eindringen», Schutz der Frauen und Kinder und Alten, die schwächer sind und dies benötigen. Der Krieg als Institution (und Ausdruck destruktiver Männlichkeit) wiederum verfestigt die Geschlechterstereotypen, die bereits in Friedenszeiten geschaffen, akzeptiert und legitimiert wurden: Oben und unten, Sieger und Besiegte, schwach und stark. Ein Mann erobert (auch die Frau).

Die NZZ titelte am 2. Juli 2022 : «In der heutigen Zeit sind Stärke und Wehrhaftigkeit gefragt. Doch diese virilen Tugenden sind aus dem Leben von Knaben und Männern so gut wie verschwunden. Empathisch und fürsorglich sollen die Männer sein – dies wird seit 50 Jahren gefordert. Auch die Pädagogik hat den feministischen Trend schon lange übernommen. Das hat Folgen, über die man vor dem Hintergrund des Krieges neu nachdenken sollte.» Es wird also eine Dichotomie postuliert zwischen Stärke und Wehrhaftigkeit einerseits, Fürsorglichkeit und Empathie andererseits. Die Rollen sind sauber verteilt und Widersprüche und/oder Vermischungen ausgeklammert.

Gleichzeitig wird ein Männlichkeitsprinzip von Camus zitiert, das vor 1970 gegolten habe, bevor es in eine Misandrie abgeglitten sei.: «In diesem Roman wird das männliche Prinzip plastisch zusammengefasst in den Qualitäten von Mut, Fürsorge, Willenskraft, Verantwortung, Güte, Risikobereitschaft, Grenzüberschreitung, Verzicht, Altruismus, Ritterlichkeit, Ehrlichkeit und Bescheidenheit in Form der Zurückstellung eigener Bedürfnisse.»

Das tönt wunderbar: Ein erwünschtes, menschliches Prinzip.

 

Aber: Die «Vergewaltigung» als sexualisierte Form der Bemächtigung kennen wir in ihren gesellschaftlichen Auswirkungen in Form von Gerichtsprozessen, Überlastung der Frauenhäuser, Beratungsstellen und still-hörbarem Leiden. Im Krieg ist Vergewaltigung Teil des Entwürdigungsprozesses des anderen Volkes und hämischer Rache an den Männern der andern Kriegspartei.

Im militärischen Bereich wird der Krieg mit positiven Gefühlen verbunden: Kameradschaft, Zusammenhalten unter miesesten Bedingungen, Verklärung von Waffen oder Reduzierung auf die hochpotente technische Seite. Diese Mechanismen sorgen dafür, dass die darin inhärente Zerstörung, Mord und rohe Gewalt verdrängt werden kann. Der Einzug ins Militär erfolgt zu Adoleszenten-Zeit, wo Begeisterung, Erlebnis- und Erfahrungshunger prägend sind. Sie dienen der Persönlichkeitsbildung als tapferer, durchhaltungsfähiger und hochpotenter Mann – ein wunderbares Selbstbild, ersehnt seit Kinderjahren. Gewehre werden zu Phallussymbolen, werden mit ins Bett genommen. Horst-Eberhard Richter sieht in der sexuellen Besetzung von Waffen die Möglichkeit, verdrängte Omnipotenzwünsche zu befriedigen. Er denkt bei solchen Gefühlen an die Phase, in der Knaben sich einen mächtigen und großartigen Phallus erträumen. Offensichtlich können Raketen, Bomber und Panzer in ähnlicher Weise erlebt werden als Ausdruck von ästhetisch verklärten phallischen Grössenphantasien.

Eine neue Identität von Männern bringt Verunsicherung mit sich, der Übergang ist schwierig auszuhalten. Aber es gibt eine Männlichkeit jenseits eines Macho-Gehabes, jenseits der Peinlichkeiten eines Putins mit nackter Brust. Die Transformation ist im Gange und dabei kommt es manchmal zu einem starken Ausschlag des Pendels.

Dennoch sollten wir uns durch die jetzt gemachte Erfahrung im Krieg von Putin mit der Ukraine nicht zurückholen lassen zu den alten Vorstellungen, dass Entschlossenheit und Wehrhaftigkeit zur Verteidigung von Freiheit und Selbstbestimmung nur erreichbar seien über ein altes, clichiertes Männlichkeitsideal. Diese Aufgabe zu übernehmen geht Frauen und Männer an. Die neue Form ist noch nicht definiert. Es stellt sich auch bei uns in der Schweiz die Frage, wie wir das tun, ohne in die alten, tiefeingeschriebenen Rollenclichés zu verfallen. Wie kann jeder und jede bei sich nach Möglichkeit suchen, aus alten Fixierungen auszusteigen und den Unterschied der Geschlechter nicht mehr destruktiv, sondern konstruktiv zu gestalten?

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