Als das Wünschen noch geholfen hat

Peter Schwob, lic. phil.

eidg. anerkannter Psychotherapeut

schwob@psychotherapie-bsbl.ch

Es gibt Märchen, die beginnen statt mit «Es war einmal…» mit der Formel «Damals, als das Wünschen noch geholfen hat…». Gemeint ist dasselbe: Lang, lang ist’s her. Vor vielen Jahren, in ferner Menschheits-Vergangenheit. Aber dass das Wünschen helfen soll, wie der Märchenanfang sagt, ist zugleich ein kindlicher Wunsch, nicht nur früher, auch heute. In der Vergangenheit von uns allen. Es ist magisches Denken, gar nicht anders vorstellbar, wenn man klein ist: «Ich bewege von meinem Kopf aus die Welt.»  Die grosse Melanie Klein, die Kinderanalytikerin, ging so weit zu sagen: Der Säugling weiss, dass er die Mutterbrust erschafft – sie ist genau im richtigen Moment da, dann, wenn er sie braucht und phantasiert, oder eben: weil er sie phantasiert. Und er schöpft daraus sein Gefühl, real, wirksam und verbunden zu sein. Ob es dabei um lebensnotwendige Bedürfnisse geht oder um nice-to-have-Wünsche, ist nicht wichtig.

Daneben ist Wünschen, wenn es geäussert wird, natürlich ganz einfach auch die Voraussetzung dafür, dass der oder die andere überhaupt weiss, was man braucht, und dann entscheiden kann, diese Wünsche und Bedürfnisse zu erfüllen oder nicht. Woher sonst soll dieses Wissen kommen? 

Zwischen diesen beiden Formen des Wünschens (dem inneren und dem geäusserten) liegt  allerdings eine unklare Zwischenzone: Da, wo man annimmt, das Gegenüber wisse schon, was man braucht, und sich dann wundert oder empört oder verzweifelt ist, wenn ein Wunsch unerfüllt bleibt. Mag sein, dass genau deswegen das Wünschen nur im Märchen wirklichkeitswirksam war: Heute, als Erwachsene, wissen wir natürlich, dass man sagen muss, was man möchte. Dass ich es bin, der es möchte. Dass nicht sicher ist, ob ich es bekomme. Und dass ich damit fertigwerden muss, wenn ich es nicht bekomme.

Aber wie lernt man das? 

Ferientage mit zwei Mädchen, sieben und elf. Sie bekommen und haben vieles, beide z.B. eine Computeruhr, die ihnen das Wetter voraussagt und ihre Schritte zählt. Die Mutter fragt: Möchtest du noch etwas zu trinken? Hast du nicht kalt? Du wolltest doch zu den Nachbarn? Was möchtest du heute essen? Ich fühle mich bedrängt, an ihrer Stelle; sie reagieren nicht direkt, sind es gewohnt. Aber doch, sie reagieren schon: Mit einer Vielzahl von Neins, gegen die meisten Vorschläge und Angebote. Kaum etwas, was auf den Tisch kommt, ist OK; kaum eine Unternehmung lockt sie; sie necken und provozieren sich oft, rangeln um fast alles. Die meisten Äusserungen sind reaktiv, ablehnend, nur wenige aktiv, gestaltend, wünschend. 

Was Wunder, denke ich – sie kommen ja gar nicht dazu, etwas zu wünschen, alles ist schon da, vor ihrer Nase. Dazu Ja zu sagen, hiesse, gleich zu sein, zu verschwinden; nur im Nein ist etwas Eigenes vorstellbar. Wenn auch um einen hohen Preis, den einer schlechten Stimmung. Denn die Mutter hört nicht das Nein zum Pullover oder zum Mineralwasser, sie fühlt sich abgelehnt. Und bietet den Kindern noch mehr an, um ihnen zu zeigen, dass sie es doch gut meint und hier ist, im Gegensatz zum Vater. Und erlebt, dass sie erneut abgewiesen wird.

Der Satz vom Wünschen, das irgendwann früher mal geholfen haben soll, ist irreführend. Er verleitet dazu zu denken, das, wozu das Wünschen verhelfe, sei die Erfüllung des Wunsches. Aber es ist eher andersherum: Wünschen (also feststellen, dass ich etwas nicht habe, aber haben möchte) lässt mich spüren, dass ich ich bin, nämlich genau der, der etwas möchte und nicht hat. Wenn es solche Momente nicht gibt, gibt es mich nicht, mich als Person.

Das ist keine Aufforderung zum Knausern oder Darben-Lassen. Nur ein Vorschlag, die Kinder kommen zu lassen, selber wünschen zu lassen, ihnen weniger vorzugeben. Ruth Cohn, die Gruppenleitungs-Fachfrau, sagte es einmal drastisch: Zu wenig geben ist Diebstahl; zu viel geben ist Mord. So hart muss man es ja nicht sehen – es reicht, sich bewusst zu machen, dass zu viel geben passiv und mäkelig macht. Und die Gefahr heraufbeschwört, dass die Kinder (und wir) nicht damit zurechtkommen, wenn ein Wunsch nicht in Erfüllung geht.

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