Erpressung!

Peter Schwob, lic. phil.

eidg. anerkannter Psychotherapeut

schwob@psychotherapie-bsbl.ch

Erpressung ist ein hartes Wort. Es bezeichnet ja ein Delikt, etwas Strafbares, äusserst Belastendes. Ich verwende es hier hingegen, um etwas Gutes darzustellen, etwas Förderliches, aber oft Vermiedenes. Ich verwende dieses Wort, weil mir andere wie Konsequenz oder Geradlinigkeit dafür zu blass sind.

Also: Ich möchte dafür werben, unangenehme Wahrheiten ohne Umschweife auszusprechen. Auch wenn das für SprecherIn und HörerIn im Moment belastend ist. Ohne zu relativieren, ohne zu trösten, ohne eine Entschädigung anzubieten, ohne Rücksicht darauf, was die EmpfängerInnen der Botschaft dann über die SenderIn denken. Einfach weil das Leben so ist. Voraussetzung ist natürlich, dass diese Botschaft wirklich wahr ist, so gut das halt abzuklären ist. Meine Werbung gilt also nicht eigennützigen Nachrichten und nicht dazu, Macht durchzusetzen. Um dessen sicher sein zu können, muss man die Nachricht sehr gut prüfen, hin und her wälzen, nicht nur allein, sondern auch zusammen mit jemandem, der einem nicht nach dem Mund redet. Erst dann ist Erpressung, wie ich sie hier verstehe, erlaubt oder sogar nötig. Nicht im Affekt.

Ein Beispiel im Kleinen: Ämtli, also Mitarbeit der Kinder im Haushalt. Viele Eltern scheuen davor zurück, verstehen sie als unanständig, als Ausnützung der Kinder. Ein bisschen Tisch-Abräumen, das vielleicht, aber auch nur, wenn danach kein Unterricht mehr kommt und sicher nicht in den Ferien – man will ja nicht als streng dastehen und hat früher selber auch darüber geflucht. Ich sehe das anders: Jeder Haushalt produziert Dreck, sagen wir mal 23 kg pro Woche (schmutziges Geschirr, Wäsche, Staub, Einkäufe, Besorgungen, Steuererklärungen und -zahlungen, Geburtstagskuchen, Zahnarzttermin-Anrufe etc.), und damit der Haushalt im Alltag funktioniert, muss jemand diesen „Dreck“ beseitigen. Wer? Alle, jede und jeder gemäss der eigenen Kraft, gerecht verteilt. In der Bilderbuch-Familie ergibt das vier Portionen, im Schnitt nicht ganz 6 kg, zwei grosse und zwei kleine, letztere mit Jugendbonus. Und niemand (ausser einem Baby natürlich) schaut nur zu und lebt auf Kosten der andern. Diese Arbeit kann man nicht verweigern, nicht vertrödeln, nicht mit Geldzahlungen erledigen, sie muss geleistet werden. Einfach weil das Leben so ist. Und zwar (das ist die Erpressung) bis zu einem festgelegten und allen im Voraus bekannten Zeitpunkt, sagen wir: Freitagabend um sechs. Erst danach gibt es ganz normal zu essen, am Handy zu daddeln, über dies und das zu reden. Vorher gibt es gar nichts ausser dem lässigen, wortlosen elterlichen Wink mit dem Daumen: Du weisst, wo der Staubsauger steht. Ohne Erklärung, ohne Argumente. Pure Erpressung eben. Nach getaner Arbeit dafür auch keine Standpauke, keine Ermahnung, keine Belohnung, keine Horrorgeschichten darüber, was die Eltern früher selbst Schlimmes erlebt und überstanden haben. 

Zugegeben, Erpressung ist ein hartes Wort dafür, den Kindern die Realität zuzumuten. Und es braucht Mut dazu, zu sagen: Einfach weil das Leben so ist. Ich vertrete dir gegenüber diese Welt, so gut ich sie verstehe. Mir selber gegenüber auch: Ich trage meinen Teil des Drecks auch ab, auf mich kannst du dich verlassen. Auch darauf, dass ich deinen Teil ausnahmsweise übernehme, wenn du wirklich nicht kannst.

Ein Beispiel im Grossen: PolitikerInnen, Behörden und WissenschaftlerInnen müssen sich informieren und uns sagen, was Sache ist. Und wir müssen die richtigen Leute wählen und uns selber auch schlaumachen und aufmerksam zuhören: Wie viel Dreck dürfen wir machen? Wie viel Strom dürfen wir brauchen, wie weit Auto fahren, wie viel seltene Erden im Handy benützen? Einfach weil das Leben so ist. Nichts ist unendlich, alles braucht Sorgfalt. Populismus hingegen ist, sich mit den kindlichen Wünschen der Menschen gemein zu machen, um die eigene Macht zu erhalten. 

Es sieht sehr danach aus, als sei es Freitagabend, in der Welt.

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